Geleitwort: Zur Ethik in Unternehmen

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 Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels - Theologische Fakultät Trier
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels - Theologische Fakultät Trier

Ethik ist das theoretische Reden über moralisches Handeln. Über Moral redet man gerne und oft, wenn sie einem abhandengekommen ist. Das scheint beim VW-Konzern der Fall zu sein. Trotz des langjährigen Geredes über corporate identity, design, governance, social responsibility und weitere modisch-ethische Themen, das dem global tätigen Unternehmen viel Zeit und Geld gekostet hat, findet es unter den strengen Augen der amerikanischen Justiz keine Gnade.
Wie die meisten Leute in den übrigen Kulturen lassen sich auch die Amerikaner nicht gerne belügen, betrügen oder täuschen. Vor allem dann nicht, wenn Lug & Trug den eigenen Wirtschaftssubjekten Schaden zufügt und nationale Wettbewerbsnachteile bewirkt. Die VW-Manager, die etwas von den manipulierten Abgaswerten gewusst haben (sollten), hätten auch wissen müssen, wie stark sich in den Vereinigten Staaten Moral und Recht verbinden und dass beide vor allem in ökologischer Hinsicht eine Einheit bilden. Oder auch nur einen Vorwand, sich lästige Konkurrenz vom Halse zu schaffen?

Gleichwohl, die Missachtung einer einzigen moralisch-rechtlichen Qualität, die offiziell in Geltung ist, kann in die Quantität eines materiellen Milliardenschadens umschlagen. Das ist eine Lehre, die sogar reine Ökonomen verstehen. Auch wenn ihnen ethisch-rechtliche Überlegungen sonst eher fremd sind, müssen sie – wie die betroffenen Manager und Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten – den Skandal zum Anlass nehmen, über die Verantwortung innerhalb eines Unternehmens neu nachzudenken. Das ist jedenfalls besser, als vorschnell eine Jagd auf Sündenböcke zu eröffnen, die Spitzenmanager flink auszutauschen und dabei den Eindruck zu erwecken, als ob Ethik nur eine Spielart der Kosmetik sei.

Unternehmerische Ethik hat etwas mit Transparenz und Konsequenz zu tun. Wer ist für was verantwortlich? Anonyme Gruppenentscheidungen führen oft dazu, dass einzelne Entscheidungsträger bequem abtauchen und die Verantwortung auf andere abschieben. Die Verantwortung für moralisches (Fehl-)Verhalten muss personell zurechenbar sein, um überhaupt greifen zu können und Konsequenzen zu zeitigen, die als Sanktionen wirken. Damit verbunden ist der Anreiz zu einem unternehmerischen Handeln, das sich im rechtskonformen Rahmen bewegt und darin Gewinnchancen wahrnimmt. Die Schuldfrage lässt sich schließlich nicht ausklammern, weder ethisch noch juristisch. Sie hängt ganz erheblich von den geltenden Regeln, Normen und Maßstäben ab. Diese sind durchaus erkennbar: in den geschichtlichen Kulturen, weltweiten Religionen, alten und modernen Philosophien – sowie in den staatlichen Gesetzgebungstraditionen. Man muss also nicht erst das jüdisch-christliche Abendland beschwören, um daran zu erinnern, dass es überzeitliche und kulturübergreifende Selbstverständlichkeiten gibt. Dazu zählt die reziprok geltende Einsicht, anderen nicht etwas vorzumachen, was der Wahrheit (oder wenigstens der Wahrhaftigkeit) widerspricht.

Dieser Anspruch findet sich schon in den Zehn Geboten und entspricht einem „Weltethos“, auf das sich inzwischen fast alle berufen. Diese Gebote sind überwiegend als Verbote formuliert und stellen so etwas wie eine „geronnene Menschheitserfahrung“ dar. Sie eignen sich auch als Verhaltenskodex für Unternehmen. Vor allem das achte Gebot lässt sich ganz gut auf VW (und nicht nur dort) anwenden: „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.“ Das heißt übersetzt: Unterlasse wahrheitswidrige Aussagen gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Konkurrenten. Verspreche nicht mehr, als du halten kannst. Täusche nicht durch irreführende Werbung.
Hiermit unterstreicht man die eigene Glaubwürdigkeit und schafft Vertrauen. Das ist ein geldwerter Vorteil. Übrigens auch für den Staat. Viele Politiker glauben, einen tatsächlichen oder vermeintlichen Mangel an Moral durch zwingendes Recht kompensieren zu können. Aber das vom Staat kontrollierte und erzwungene Recht ist nicht identisch mit Moral. Moral setzt Freiheit voraus. Wenn es kaum noch Freiheitsspielräume gibt, sich moralisch zu bewähren, wenn alles schon rechtlich geregelt ist, scheint moralisches Engagement entbehrlich zu werden.

Im Dschungel des Wirtschafts-, Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts kennen sich nicht einmal mehr die Fachleute aus. Mit zunehmender Komplexität verliert die  Und der Mangel an Rechtssicherheit führt bei Managern nicht selten zu einer „kreativen“ Moral, die sich als Beliebigkeit entpuppt, weil ihr die einfachsten Maßstäbe fehlen.

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Redaktion (allg.)

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