Verwirkung ­eines Schmerzensgeld­anspruchs bei Mobbing

Der Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings nach §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG kann zwar verwirken, dafür genügt jedoch ­ein bloßes Zuwarten oder die Untätigkeit des Anspruchstellers nicht.

(Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – 8 AZR 838/13

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Ein Arbeitnehmer klagt gegen seinen früheren Vorgesetzten auf Zahlung ­eines Schmerzensgeldes wegen Verletzung der Gesundheit und des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Zur Begründung führt er aus, dass er in den Jahren 2006 bis 2008 unter erheblichen herabwürdigenden Behandlungen des Vorgesetzten gelitten habe. Dies habe in dem genannten Zeitraum zu längeren Zeiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geführt, die u. a. Depressionen zum Gegenstand hatten. Konkret war der Mitarbeiter 2007 an 52 Tagen, 2008 an 216 Tagen und 2009 durchgängig erkrankt. Die Klage ging 2010 beim ArbG Nürnberg ­ein.

Das LAG Nürnberg wies die Klage wegen Verwirkung ab und sah von ­einer weiteren Sachverhaltsaufklärung ab (Urt. v. 25.7.2013 –5 Sa 525/11).

Entscheidung

Das BAG hat die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.

Verwirkung ist nach Auffassung des 8. Senats nicht ­eingetreten. Das Gericht betont den Ausnahmecharakter des richterlich geschaffenen und entsprechend auszuprägenden Instituts der Verwirkung. Es muss danach in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung auch des BGH sowohl ­ein Zeit- als auch ­ein Umstandsmoment vorliegen, dass das Eintreten der Verwirkung im Einzelfall rechtfertigt.

Für das Zeitmoment stellte das BAG vorliegend fest, dass keinesfalls die Verjährungsfristen unterschritten werden dürfen. Hinsichtlich des Umstandsmomentes reicht ­ein bloßes Zuwarten nicht aus. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich aus besonderen Umständen des Einzelfalls ­eine Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung ergibt. Hierfür war im zu entscheidenden Fall nichts ersichtlich.

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Konsequenzen

Die Entscheidung kann kaum überraschen. Bei dem hier gegenständlichen deliktischen Anspruch aus ­einem sog. Mobbing des Vorgesetzten handelt es sich um ­eine fortgesetzte Begehung, so dass sich Überlegungen zum Beginn und Ende von Verjährungsfristen geradezu aufdrängen. Selbst bei ­einer kaum haltbaren Auslegung der §§ 195, 199 BGB unterlägen allenfalls Ansprüche aus 2006 im vorliegenden Fall der Verjährung.

Die Annahme ­einer Verwirkung durch das LAG erscheint daher bereits hinsichtlich des Zeitmoments abwegig. Für das ebenfalls erforderliche Umstandsmoment sind zudem keine Anhaltspunkte ersichtlich. Wenn der Beschäftigte sich ­einem fortgesetzten Verhalten des Vorgesetzten ausgesetzt sieht, ist nicht ersichtlich, woraus sich ­eine Pflicht zu ­einer zeitnahen Geltendmachung seiner Rechte ergeben sollte. Es wäre kaum vertretbar, ihm aufzuerlegen, ab ­einer bestimmten Zeitdauer oder Schwere der gegenständlichen Verhaltensweise ­eines Vorgesetzten oder Arbeitgebers Klage erheben zu müssen.

Der Arbeitnehmer müsste den Arbeitgeber zur Erfüllung des Umstandsmoments durch eigene Handlungen in irgendeiner Weise dazu veranlassen, darauf jedenfalls entfernt vertrauen zu können, nicht in Anspruch genommen zu werden. Die Hürden dafür dürften hoch sein.

Praxistipp

Die gesetzeskonforme Behandlung von Mitarbeitern durch Vorgesetzte ist ­eine Selbstverständlichkeit, die keiner gesonderten Erwähnung bedarf. Sollte dieses im Einzelfall streitig sein, kann sich das Unternehmen oder auch ­ein konkreter Vorgesetzter deliktischen Ansprüchen ausgesetzt sehen.

Dem kann man nur präventiv durch geeignete Unterweisungen und Fortbildungen sowie entsprechende Sensibilisierungen von Führungskräften begegnen. Dies gilt insbesondere für mögliche Fortsetzungshandlungen, die ­eine herabwürdigende oder schikanierende Wirkung zum Gegenstand haben.

In ­einem späteren Gerichtsverfahren dürfte es der Arbeitgeber dagegen schwer haben, mit der Einrede der Verjährung oder gar ­einer ­eingetretenen Verwirkung zu argumentieren. Auch ­einzelvertragliche oder tarifliche Ausschlussfristen sind insoweit unbeachtlich, da es sich regelmäßig um vorsätzlich begangene Handlungen handelt.

Entscheidend dürfte daher wie im vorliegenden Fall die Tatsachenebene sein. Die Beweislastverteilung geht insoweit zulasten des Arbeitnehmers.

RA und FA für Arbeitsrecht Prof Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen, Direktor KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg

Redaktion (allg.)

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