AN-Vertreter im Aufsichtsrat: Wahlanfechtung

Das Gebot der Öffentlichkeit der Stimmenauszählung (hier: bei der Wahl des Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat) beinhaltet auch, dass das Wahlausschreiben den Umstand der öffentlichen Stimmenauszählung angibt.

Sächs. LAG, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 2 TaBV 11/04 §§ 18 Abs. 3 Satz 1, 19 Abs. 1 BetrVG

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Bild: Erwin-Wodicka / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl des Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat. Die Arbeitgeberin rügt einen Verstoß gegen § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG analog. Die Norm verpflichtet den Wahlvorstand, unverzüglich nach Abschluss der Wahl die Auszählung der Stimmen öffentlich vorzunehmen, ihr Ergebnis niederzuschreiben und es den Mitarbeitern des Betriebs bekannt zu geben. Nach Ansicht des Unternehmens war die Stimmenauszählung im Betriebsratsbüro nicht öffentlich und deshalb für unwirksam zu erklären.

Der Wahlvorstand hatte in einer E-Mail an die Arbeitnehmer lediglich darauf hingewiesen, dass er drei Mitarbeiter für die Stimmenauszählung an einem bestimmten Tag und ab einer bestimmten Uhrzeit ("... ab 18.00 Uhr ... wie lange dies andauern wird, können wir nicht abschätzen") als Wahlhelfer benötige. In der Nachricht fehlt sowohl der Auszählungsort als auch der Hinweis, dass diese öffentlich erfolgt. Potentielle Wahlhelfer sollten bei Interesse ihrerseits an den Wahlvorstand mailen.

Die Wahlanfechtung der Arbeitgeberin hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Arbeitnehmers.

Entscheidung

Die Chemnitzer Richter haben die Beschwerde für unbegründet erachtet. Ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften, der das Wahlergebnis beeinflusst haben könnte und damit die Wahlanfechtung rechtfertige, liege schon in der Verletzung von § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, § 13 WO 1953. Die Stimmenauszählung im Betriebsratsbüro sei nicht öffentlich erfolgt, so dass es auf weitere Verstöße gegen Wahlvorschriften nicht mehr ankomme.

Das BAG hat einen Verstoß gegen das Gebot der öffentlichen Stimmenauszählung dann angenommen, wenn der Wahlvorstand von sich aus weder darüber, dass die Stimmen öffentlich ausgezählt werden, noch über Ort und Zeit informiert (Beschl. v. 15.11.2000 - 7 ABR 53/99). Die Betriebsöffentlichkeit hat unter diesen Umständen keinen ungehinderten Zugang zur Auszählung. Das Erfordernis, sich selbst aktiv nach den Details erkundigen zu müssen, ist geeignet, Zugangsberechtigte von vornherein auszuschließen, sei es aufgrund von Unkenntnis, sei es durch die psychologische Hemmschwelle, die einer Nachfrage entgegenstehen kann.

Dem schließt sich die Beschwerdekammer an. Zudem verweist sie darauf, dass mittlerweile in § 3 Abs. 2 Nr. 13 WO 2001 als Pflichtangaben u.a. "Ort, Tag und Zeit der öffentlichen Stimmenauszählung" vorgeschrieben sind. Sowohl aus der Entscheidung des BAG als auch aus der Regelung der WO 2001 ergebe sich hinreichend deutlich, dass auch und insbesondere auf die Öffentlichkeit der Stimmenauszählung hingewiesen werden muss. Es habe keiner abschließenden Klärung bedurft, ob die Arbeitnehmer aus anderen Gründen wussten, dass die Wahl im Betriebsratsbüro stattfand. Der Zusatz in der E-Mail "wie lange dies andauern wird, können wir nicht abschätzen" könne einen unbefangenen und/oder des Wahlverfahrensrechts unkundigen Mitarbeiter geradezu abhalten. Auch widerspreche die Aufforderung, Interesse an einer Tätigkeit als Wahlhelfer per E-Mail an den Wahlvorstand zu äußern, dem Grundsatz, dass dieser selbst durch Herstellung der Betriebsöffentlichkeit aktiv zu werden habe. Die Mail sei damit vorliegend eher geeignet, Öffentlichkeit zu verhindern.

Die Anfechtung wegen Verletzung des § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG analog sei auch nicht nach § 19 Abs. 1, letzter Halbsatz BetrVG analog ausgeschlossen. Danach berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften ausnahmsweise dann nicht zur Anfechtung, wenn er das Ergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Entscheidend sei, ob bei hypothetischer Betrachtung eine Wahl ohne Verstoß zwingend zu demselben Ergebnis geführt hätte. Dies könne bei einer nicht öffentlichen Stimmenauszählung nicht angenommen werden. Denn Fehler während der Auszählung, die im Falle der öffentlichen Auszählung nicht unterlaufen wären, könnten nicht ausgeschlossen werden.

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Konsequenzen

Die Entscheidung bejaht einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften im Wahlverfahren des Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat allein deshalb, weil die Mitarbeiter nicht über die Öffentlichkeit der Stimmenauszählung in Kenntnis gesetzt wurden. Während es bei der zitierten BAG-Entscheidung noch darum ging, dass weder auf die Öffentlichkeit hingewiesen noch über Ort und Zeit der Auszählung informiert wurde, lässt die Kammer für die Anfechtbarkeit nun schon den fehlenden Öffentlichkeitshinweis genügen und verschärft insofern die Anforderungen. Die Folge ist eine erleichterte Anfechtungsmöglichkeit. Dem ist zuzustimmen, denn beim Erfordernis des Hinweises auf öffentliche Auszählung handelt es sich um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren. Zutreffend ist auch die Erwägung des Gerichts, wonach die Anfechtung nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Diese - abstrakte - Gefahr ist bei Verstößen gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Stimmenauszählung stets gegeben.

Praxistipp

Der Arbeitgeber sollte die Einhaltung der wesentlichen Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Wahlverfahren beobachten und bei Verstößen die Anfechtung ernsthaft in Erwägung ziehen. Entscheidet er sich dafür, so hat er die kurz bemessene Frist von zwei Wochen, beginnend vom Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an, zu beachten.

Dr. Rüdiger Heinemann, Leipzig

Redaktion (allg.)

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