Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats

1. Der Unterrichtungsanspruch aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG soll es dem Betriebsrat ermöglichen, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben i. S. d. Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und er tätig werden muss.

2. Die Grenzen des Unterrichtungsanspruchs liegen dort, wo ein Beteiligungsrecht offensichtlich nicht in Betracht kommt. Der Betriebsrat kann nicht losgelöst vom Bestehen einer gesetzlichen Aufgabe verlangen, dass der Arbeitgeber ihn über betriebliche Vorgänge informiert oder über seinen Kenntnisstand unterrichtet.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Beschluss vom 23. März 2010 - 1 ABR 81/08

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Bild: schemev / stock.adobe.com
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Problempunkt

In einem Betrieb des Deutsche Bahn AG-Konzerns sind neben Arbeitnehmern auch Beamte beschäftigt. Deren Dienstherr ist das Bundeseisenbahnvermögen (BEV). Für Beamte, die aus ihrem Beamtenverhältnis beurlaubt und bei dem jeweiligen Bahnunternehmen als Arbeitnehmer beschäftigt sind, sowie Beamte, die dem einzelnen Bahnunternehmen innerhalb des Beamtenverhältnisses zugewiesen wurden, hat man sog. Aufstiegsdienstposten im beamtenrechtlichen Sinne geschaffen. Nach der gesetzlichen Regelung und den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften erfolgen die Auswahl und Beförderung der geeigneten Kandidaten nach einem mehrstufigen System. Daran beteiligt sind auch die Deutsche Bahn AG und das BEV. Innerhalb des Verfahrens, das eine Bewerbung der Beamten voraussetzt, überprüft das BEV, ob die beamtenrechtlichen Voraussetzungen für den Aufstieg vorliegen. Unter allen Bewerbern, auf die das zutrifft, führt der Deutsche Bahn AG-Konzern dann intern eine Vorauswahl durch. Nur die Leistungsstärksten erhalten die Gelegenheit, sich in einem Assessment Center zu bewähren.

Für die Ausschreibung im Jahr 2006 gingen 309 qualifizierte Bewerbungen ein. Nach der Vorauswahl durften 59 an dem Assessment Center teilnehmen. 16 wurden letztendlich dem Präsidenten des BEV für den Laufbahnaufstieg vorgeschlagen.

Der Arbeitgeber, ein Bahnunternehmen, teilte dem Betriebsrat die Namen der im Betrieb beschäftigten Bewerber mit. Dieser verlangte jedoch weitere Auskünfte über das Aufstiegsverfahren, insbesondere sämtliche Bewerbungsunterlagen der betriebsangehörigen Kandidaten. Nachdem der Arbeitgeber sich weigerte, machte der Betriebsrat seine Ansprüche im Beschlussverfahren geltend. Nur mit diesen Informationen sei er in der Lage, zu beurteilen, ob er Beteiligungsrechte nach §§ 92 und 96 bis 98 BetrVG wahrnehmen kann. Das Arbeitsgericht wies den Antrag ab, das LAG gab ihm statt.

Entscheidung

Das BAG schloss sich der Ansicht des Arbeitsgerichts an und wies den Antrag zurück. Nach seiner Auffassung besteht kein Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats i. S. v. § 80 As. 2 Satz 1 BetrVG. Das Gericht stellte zunächst klar, dass mit der Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ein entsprechender Unterrichtungsanspruch der Arbeitnehmervertretung korrespondiert. Dieser besteht aber nicht erst, wenn allgemeine Aufgaben oder Beteiligungsrechte des Betriebsrats bereits feststehen, sondern er greift bereits früher ein. Der Unterrichtungsanspruch soll das Gremium in die Lage versetzen, eigenständig zu prüfen, ob ihm Beteiligungsrechte im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt zustehen oder nicht. Dazu muss lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit gegeben sein, dass es sich um betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben handelt. Ausgeschlossen ist der Unterrichtungsanspruch nur bei Fallgestaltungen, in denen ein Beteiligungsrecht offensichtlich nicht besteht.

In seiner weiteren Begründung machte das BAG dann deutlich, dass „offensichtlich“ in diesem Zusammenhang anders zu verstehen ist als bei Einsetzung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbG. Ob der Unterrichtungsanspruch besteht, ist in zwei Stufen zu prüfen:

> Zunächst ist es notwendig, dass überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats im Zusammenhang mit dem streitigen Sachverhalt vorliegen kann.

> Dann muss die angeforderte Information im konkreten Einzelfall erforderlich sein, um das Gremium in die Lage zu versetzen, seine möglichen Beteiligungsrechte wahrzunehmen.

Im vorliegenden Fall verneinte das BAG Beteiligungsrechten des Betriebsrats nach §§ 94 Abs. 2 (Personalfragebogen, Beurteilungsgrundsätze) und 95 Abs. 2 BetrVG (Auswahlrichtlinien). Beteiligungsrechte nach §§ 92 Abs. 1 Satz 1 (Personalplanung), 92a Abs. 1 (Beschäftigungssicherung) und 98 BetrVG (betriebliche Bildungsmaßnahmen) hielt es zwar für möglich, die Informationen, die der Betriebsrat forderte, waren hierfür jedoch nicht erforderlich.

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Konsequenzen

Das BAG führt seine Rechtsprechung fort, wonach dem Betriebsrat ein Unterrichtungsanspruch zusteht, wenn ein Bezug zu seinen Beteiligungsrechten nach dem Betriebsverfassungsgesetz besteht. Erfreulich ist dabei, dass das Gericht dem Anspruch auch Grenzen setzt. Es genügt nicht, dass der Betriebsrat einfach nur behauptet, es bestünden Beteiligungsrechte, und auf dieser Basis Informationen einfordert. Vielmehr haben die Gerichte im Einzelnen und streng zu prüfen, ob ein Beteiligungsrecht bestehen kann. Darüber hinaus müssen sie entscheiden, ob die geforderten Informationen wirklich erforderlich sind, um das mögliche Beteiligungsrecht wahrzunehmen. Gerade der letztgenannte Gesichtspunkt ist neu und stellt eine wichtige Einschränkung dar.

Praxistipp

Sofern der Betriebsrat Informationen verlangt, die der Arbeitgeber nicht – auch nicht um des lieben Friedens willen – zur Verfügung stellen will, ist ihm zu raten, eine Begründung für das Informationsverlangen einzufordern. Mit dieser sollte sich der Arbeitgeber dann detailliert auseinandersetzen und entlang ihrer Argumentation seine Ablehnung formulieren. Natürlich hindert das ein Arbeitsgericht nicht, ihm dennoch aufzugeben, die Informationen offenzulegen. Doch dürfte dann in der Verweigerung der Unterrichtung wohl kaum ein grober Verstoß gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten nach § 23 BetrVG zu sehen sein.

RA und FA für Arbeitsrecht Bernd Weller, Partner bei Heuking Kühn Lüer Woitek, Frankfurt

Redaktion (allg.)

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