Telefon-Headhunting

1. Das Abwerben von Mitarbeitern des Mitbewerbers ist sittenwidrig, wenn der Umworbene zum Vertragsbruch aufgefordert wird oder die Abwerbung durch Eindringen in die Betriebssphäre erfolgt.

 

2. Ein Eindringen in die Betriebssphäre liegt auch bei telefonischer Direktansprache am Arbeitsplatz vor. (redaktionelle Leitsätze)

OLG Stuttgart, Urteil vom 17. Dezember 1999 – 2 U 133/99; rechtskräftig durch Nichtannahmebeschluss des BGH vom 2. November 2000 §§ 823, 826 BGB; § 1 UWG

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Immer mehr Unternehmen überlassen die Beschaffung von qualifizierten Mitarbeitern, und zwar nicht nur auf Führungsebene, Personalberatern. Dabei zeigt sich: Je größer die Schwierigkeiten sind, qualifiziertes Personal zu finden, desto rücksichtsloser scheinen die Methoden zu sein, die bei der Neubesetzung von Vakanzen durch einige "Headhunter" angewandt werden. Viele Kunden wissen nicht, dass einige Personalberater die Kontaktherstellung zu potenziellen Kandidaten nicht mehr selbst erledigen, sondern an Subunternehmer ("Seacher") outsourcen. Dabei handelt es sich um Unternehmer, die lediglich die Kontakte herstellen. Alle weiteren Schritte (z. B. die Kandidatenpräsentation) übernimmt dann wieder der Auftragnehmer. Im vorliegenden Fall umwarb ein "Seacher" via Telefon einen in Frage kommenden Kandidaten.

 

Entscheidung

Die Richter sahen das telefonische Headhunting als sitten- und wettbewerbswidrig an. Das Abwerben von Mitarbeitern eines Wettbewerbers ist nicht grundsätzlich sittenwidrig, sondern nur, wenn bestimmte Umstände hinzukommen. Solche sind etwa das Verleiten zum Vertragsbruch oder – wie hier - das Eindringen in die fremde Betriebssphäre. Neben dem Aufsuchen im Betrieb zum Zwecke des Gesprächs und dem Anschreiben von Führungskräften verlagert sich der gedankliche Austausch zunehmend auf die Telefonnutzung und die modernen Kommunikationsmittel, wie E-Mail oder Internet. Bei der Telefonwerbung ergeben sich aus den Rechtsgrundsätzen des BGH zur Werbung gegenüber Privaten flankierende Wertentscheidungsansätze für das Eindringen in den Gewerbebetrieb (BGH, NJW 1991, S. 2087). Der Abwerbende macht sich die mit eigenen Geldmitteln geschaffenen internen Strukturen und Betriebseinrichtungen des Unternehmers zunutze und hält den Umworbenen von seiner Leistungserbringungspflicht ab. Diese Störung von Funktionsabläufen sahen die Richter als verwerflich und wettbewerbswidrig an.

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Konsequenzen

Zunächst hat natürlich der Umworbene das Recht, seinen „Brötchengeber“ über die unerwünschten Anrufe zu informieren. Dieser wird kaum anders von der Störung erfahren. Der Arbeitgeber kann analog § 1004 BGB den „Seacher“ und den Auftraggeber zur Unterlassung auffordern. Darüber hinaus hat er einen Schadenersatzanspruch gegenüber dem Headhunter und dem Auftraggeber als Gesamtschuldner. Ein Schaden liegt regelmäßig in der Arbeitsstörung, kann aber auch in der Abwanderung des Mitarbeiters, einem Auftragsentgang oder dem Zwang zur Lohnerhöhung beim Umworbenen liegen. Um den Schaden bei der Arbeitsstörung beziffern zu können, hat der Verletzte einen Auskunftsanspruch (etwa auf den Namen und die Anschrift des Anrufenden, Namen des Mitarbeiters, Zeitpunkt, Dauer und Inhalt des Telefonats, Folgeanrufe, Namen und Anschrift des Auftraggebers). Im vorliegenden Fall wurde dem Kläger ein Schadenersatzanspruch in Höhe von DM 13,33 zugesprochen.

Praxistipp

Rahmenverträge mit Personalberatern sollten überprüft werden. Darin könnten sich z. B. allgemeine Regelungen wie, „wurden geeignete Kandidaten gefunden, werden sie mit dem Ziel kontaktiert, ob die Ist-Qualifikation mit dem Soll-Profil übereinstimmt sowie Wechselbereitschaft vorhanden ist“, stehen. Eine solche Formulierung ist zu ungenau. Vielmehr sollte der suchende Unternehmer vertraglich darauf bestehen, dass nur erfahrende, sensible Reseacher eingesetzt werden, die auf Kaltanrufe bei potenziellen Kandidaten sowie auf Coverstorys gänzlich verzichten. Dies ist trotz des Urteils des LG Mannheim, s. #Rechtsprechung# zu empfehlen, da der BGH mit Beschluss vom 2. November 2000 (I ZR 22/00) die Revision des Beklagten gegen das Urteil des OLG Stuttgart nicht angenommen hat. „Recruitment Consultants“ sollten sich darüber im Klaren sein, dass unerwünschte Anrufe beim Abzuwerbenden sittenwidrig sein können. Außerdem könnte sich das Image verschlechtern, wenn angerufene Personen sogenannte „cold calls“ ablehnen. Personalberater sollten sich den Weg der Kontaktanbahnung genau überlegen. Völlig unglaubwürdig wirken Mitarbeiterjäger (Schwarze Scharfe), die sich trotz Korb beim Erstversuch nach 48 Stunden wieder mit den bereits Angerufenen in Verbindung setzten. Seriöse Personalbeschaffer versuchen erst gar nicht, durch unerwünschte Anrufe geeignete Kandidaten zu generieren. Vielmehr werden – nach dem die eigene Datenbank ohne Erfolg durchsucht wurde – Freunde und Geschäftspartner nach passenden Personen hin angesprochen, Anzeigen geschaltet, auf Stellengesuche geantwortet, Positionen im WWW angeboten oder auf Rekrutierungsmessen, die in den USA fast wöchentlich stattfinden, gezielt Kontakte zu potenziellen Kandidaten hergestellt.

Eckhard Boecker, Schenefeld

Redaktion (allg.)

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