Rechtsprechungsänderung zu Betriebsübergang bei Rettungsdienst

Ein Betriebsübergang i. S. d. § 613a Abs. 1 BGB erfordert hauptsächlich, dass der Betrieb auch nach dem Übergangseine Identität bewahrt. Diese wird bei einem Rettungsdienst gleichermaßen durch die Rettungsfahrzeuge wie durch das spezifisch ausgebildete Personal geprägt. Werden daher die Fahrzeuge nicht übernommen, scheidet ein Betriebsübergang aus, auch wenn der neue Inhaber den Betrieb ansonsten fortführt.
(Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 25. August 2016 – 8 AZR 53/15

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien stritten vor folgendem Hintergrund um die Frage, ob ein Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB vorlag: Ein Landkreis hatte den Betrieb eines Rettungsdienstes an einen Verein übertragen. Die erforderlichen Gebäude (Rettungswachen) mietete der Verein vom Landkreis. Die Sachmittel (insb. Fahrzeuge) und das Personal beschaffte der Verein selbst. Die spätere Klägerin war als Rettungsassistentin bei dem Verein angestellt. Nachdem der Landkreis sich entschieden hatte, den Rettungsdienst wieder selbst durchzuführen, kündigte er die Mietverträge, beschaffte sich selbst die erforderlichen Fahrzeuge und schrieb die zu besetzenden Stellen komplett neu aus. Aufgrund eines veränderten Schichtmodells benötigte der Landkreis mehr Personal als der Verein zuvor. Sämtliche Arbeitnehmer des Vereins bewarben sich auf die ausgeschriebenen Stellen und wurden neben zehn weiteren Arbeitnehmern vom Landkreis nach dem Prinzip der Bestenauslese (neu) eingestellt. An den Fahrzeugen des Vereins hatte der Landkreis aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten kein Interesse, obwohl diese noch funktionstüchtig und damit werthaltig waren.

Die Klägerin war der Auffassung, dass ein Betriebsübergang vorgelegen habe und begehrte die Feststellung, dass das Beschäftigungsverhältnis zwischen ihr und dem Verein aufgrund eines Betriebsübergangs unverändert auf den Landkreis (mit) übergegangen sei. Der neu abgeschlossene Arbeitsvertrag sei daher nicht maßgeblich. Der Landkreis war erwartungsgemäß anderer Ansicht.

Entscheidung

Das BAG verneinte das Vorliegen eines Betriebsübergangs. Fraglich war allein, ob die Identität des Betriebs gewahrt wurde. Das BAG legte hier seinen im Grunde bekannten Maßstab an, präzisierte diesen aber. Danach ist eine umfassende Gesamtbewertung vorzunehmen, bei der sämtliche Tatsachen, welche den betreffenden Vorgang kennzeichnen (ggf. mit unterschiedlicher Gewichtung), zu berücksichtigen sind. Einzelne Punkte dürfen dabei nicht isoliert betrachtet werden. Kommt es z. B. wesentlich auf die menschliche Arbeitskraft an, so dass der Betrieb auch ohne andere nennenswerte Vermögenswerte funktioniert, ist besonders relevant, ob der Erwerber (bei entsprechender Tätigkeitsfortführung) einen nach Zahl- und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt. Sind hingegen in erheblichem Umfang materielle Betriebsmittel erforderlich, kann entscheidend sein, ob diese übernommen werden. Allein die bloße Fortführung der Tätigkeit durch den neuen Inhaber (Funktionsnachfolge) reicht für die Annahme eines Betriebsübergangs jedenfalls nicht aus.

Dies vorangeschickt verneinte das BAG einen Betriebsübergang. Zwar hatte der Landkreis den Rettungsdienst ohne zeitliche Unterbrechung fortgeführt, die zuvor von dem Verein genutzten Rettungswachen samt Inventar genutzt und auch sämtliche vormals beim Verein angestellten Personen beschäftigt. Entscheidungsrelevant war aber, dass er die Fahrzeuge nicht übernommen hatte. Diese sind für die wirtschaftliche Einheit „Rettungsdienst“ unverzichtbar, so dass ihnen eine identitätsbestimmende Wirkung zukommt. Die Nicht-Übernahme der Fahrzeuge wirkte also als Ausschlusskriterium. Ebenso (mit)prägend für die Identität des Rettungsdienstes war allerdings das Rettungspersonal. Dieses muss hinreichend qualifiziert sein und kann daher nicht ohne Weiteres ersetzt werden, so dass es für den Betrieb ebenfalls unverzichtbar ist. Hinsichtlich der Fahrzeuge kommt es übrigens allein darauf an, ob diese tatsächlich noch verwendbar und damit werthaltig sind, die buchhalterische Bewertung (Abschreibung) ist irrelevant. Prägend für einen Rettungsdienst sind damit Material und Personal. Das BAG erklärte zudem, ohne dass es hierauf entscheidend angekommen wäre, dass es an seiner Rechtsprechung in den Urteilen vom 10.5.2012 (8 AZR 639/10 sowie 8 AZR 434/11), soweit sich daraus etwas anderes ergebe, nicht mehr festhält. Damals befand der 8. Senat noch, dass das Einsatzpersonal in Rettungsdiensten zwar hoch qualifiziert und gut ausgebildet ist. Trotzdem sei die Übernahme oder Nichtübernahme des Personals nicht von entscheidender Bedeutung für die Frage des Betriebsübergangs. Nur in betriebsmittelarmen Betrieben habe das Personal eine identitätsprägende Wirkung. In allen anderen Betrieben sei die Übernahme der Belegschaft nur ein Kriterium unter vielen. Dies gilt nunmehr ausdrücklich nicht mehr.

Das BAG ließ bzgl. der Weiterbeschäftigung des Personals allerdings ausdrücklich offen, wie der Umstand, dass der Landkreis aufgrund des geänderten Schichtmodells einen erhöhten Personalbedarf hatte, und dass dieser insgesamt durch Neueinstellungen (auch des „alten“ Personals) nach dem Prinzip der Bestenauslese abgedeckt wurde, letztlich zu gewichten und zu bewerten ist.

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Konsequenzen

Das BAG hat weitgehend die bekannten Grundsätze angewendet und nunmehr bzgl. der Übernahme von Rettungsdiensten ein recht sicheres Ausschlusskriterium (die Nicht-Übernahme der Fahrzeuge) definiert. Insoweit ist das Urteil erfreulich, da es zu mehr Klarheit und größerer Vorhersehbarkeit führt. Unerfreulich ist die Entscheidung allerdings, da das BAG fast beiläufig erklärt, hinsichtlich der Gewichtung der Personalübernahme nicht weiter an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten – ohne hier verbindliche Anhaltspunkte für die Zukunft mitzuliefern. Hinsichtlich dieser offengelassenen Punkte bleibt daher die weitere Rechtsprechung abzuwarten.

Praxistipp

Das BAG hat deutliche Hinweise gegeben, wann in entsprechenden Konstellationen ein Betriebsübergang vorliegt – und wann eben nicht. Im Zweifel ist es daher, sofern ein Betriebsübergang verhindert werden soll, angezeigt, auf die Übernahme der Fahrzeuge zu verzichten. Auch hinsichtlich des Personals scheint der Landkreis einiges richtig gemacht zu haben.

RA Daniel Jutzi, Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Osnabrück

Redaktion (allg.)

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