Problempunkt
Die Parteien stritten über die Geltung eines Vergütungstarifvertrags des öffentlichen Dienstes für das Arbeitsverhältnis der Klägerin und die daraus resultierenden Vergütungsansprüche. Die Klägerin ist bei dem Beklagten im nichtöffentlichen Dienst beschäftigt, wobei der am 21.5.2002 von den Parteien abgeschlossene Arbeitsvertrag folgende Vereinbarung enthält: "Dem Arbeitsverhältnis liegt der Tarifvertrag (...) des DRK in der jeweils geltenden Fassung zugrunde." Der Beklagte war Mitglied der Tarifgemeinschaft des Deutschen Roten Kreuzes. Diese hatte 1984 mit der Gewerkschaft ver.di (damals ÖTV) eine Vereinbarung über Rahmenbedingungen für den Abschluss von Tarifverträgen geschlossen, in der man sich darauf einigte, sich an den Regelungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) zu orientieren. Am 31.1.2003 kam es im öffentlichen Dienst hinsichtlich des BAT zum Abschluss des Vergütungstarifvertrags Nr. 35 (VTG 35), der für die Vergütungsgruppe der Klägerin eine schrittweise Erhöhung festsetzte. Eine tarifvertragliche Entscheidung der Gewerkschaft und der Tarifgemeinschaft des DRK über die sich aus dem VTG 35 ergebenden Veränderungen erfolgte erst Ende 2003. Der Beklagte war jedoch bereits zuvor zum 31.3.2003 aus der Tarifgemeinschaft ausgetreten. Die im VTG 35 festgesetzten Erhöhungen gab er lediglich bis zum 1.1.2004 an seine Mitarbeiter weiter. Die Klägerin begehrte die Fortsetzung der Zahlung der sich aus dem VTG 35 ergebenden Vergütungserhöhungen auch nach dem 1.1.2004.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab der Revision der Klägerin statt und verpflichtete den Beklagten zur Weitergabe der im VTG 35 festgesetzten Vergütungserhöhungen an die Klägerin. Die Richter legten die Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag der Klägerin gem. §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte aus und orientierten sich zunächst am Wortlaut der Erklärung. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Verweisung - unabhängig von der Tarifgebundenheit des Beklagten - konstitutiv Bezug auf den jeweils geltenden Tarifvertrag nimmt. Anschließend prüfte das Gericht vom Wortlaut abweichende Faktoren. Diese sind für die Auslegung allerdings nur von Bedeutung, wenn sie für beide Seiten erkennbar den Inhalt der Erklärung beeinflusst haben. Aus der Vereinbarung ergab sich für die Klägerin jedoch nicht hinreichend deutlich, dass die dynamische Verweisung nur so lange gelten sollte, wie der Beklagte tarifgebunden ist. Damit konnten die Richter dieses Motiv nicht berücksichtigen. Der Auslegung der Verweisungsklausel als konstitutive Bezugnahme auf den DRK-Tarifvertrag steht auch nicht das Vertrauensschutzinteresse des Beklagten entgegen. Zwar waren nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG dynamische Bezugnahmeklauseln i.d.R. als sog. Gleichstellungsabreden - und bei Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers als statische Verweisungen - anzusehen. Der Senat hatte aber bereits in seiner Entscheidung vom 14.12.2005 (4 AZR 536/04 - Bermann, AuA 9/06, S. 559 f.), in der er seine Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Verweisungsklauseln ankündigte, diese auf nach dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverträge beschränkt. Die Stichtagsregelung bekräftigte er nun. Eine Rückwirkung hätte ansonsten angesichts der Vielzahl derartiger Klauseln und der im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtsprechung bei gleich bleibender Rechtslage getroffenen Dispositionen eine unzumutbare Härte für die Arbeitgeber bedeutet. Für nach dem 1.1.2002 geschlossene Arbeitsverträge - zu denen auch der mit der Klägerin gehört - besteht hingegen kein Vertrauensschutz.
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Konsequenzen
Der 4. Senat des BAG vollzieht mit dieser Entscheidung die schon im Urteil vom 14.12.2005 angekündigte Änderung seiner Rechtsprechung. Die Auslegung von arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln erfolgt danach zunächst und grundsätzlich nach dem Wortlaut. Dem Arbeitgeber bleibt es daher verwehrt, sich darauf zu berufen, die Vereinbarung diene der Gleichstellung von tarifgebundenen und nichttarifgebundenen Arbeitnehmern, wenn dies für den Mitarbeiter nicht unmittelbar ersichtlich ist. Er kann also nicht geltend machen, der Wegfall der eigenen Tarifbindung habe auch den Fortfall der an den Tarifvertrag angelehnten dynamischen Entwicklung des Arbeitsvertrags zur Folge. Die Vereinbarung einer derartigen auflösenden Bedingung muss vielmehr der Erklärung des Arbeitgebers unmittelbar zu entnehmen sein. Dies gilt wegen des Vertrauensschutzes allerdings nur für nach dem 1.1.2002 geschlossene Vereinbarungen.
Praxistipp
Bei der Formulierung von arbeitsvertraglichen dynamischen Bezugnahmeklauseln ist darauf zu achten, dass diese den Ansprüchen der in §§ 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelten AGB-Kontrolle hinsichtlich der Eindeutigkeit und Verständlichkeit der Vereinbarungen genügen und das Gewollte einer Auslegung anhand der §§ 133, 157 BGB standhält. Der Arbeitgeber sollte entsprechende Vorbehalte - etwa die bloß statische Fortgeltung des in Bezug genommenen Tarifvertrags nach Wegfall der arbeitgeberseitigen Tarifbindung - in einer für den Arbeitnehmer deutlich erkennbaren Form in die Erklärung aufnehmen. Hinsichtlich bereits geschlossener Vereinbarungen kann man die unbedingt zeitdynamische Bindung durch den Abschluss von Änderungsvereinbarungen oder Änderungskündigungen vermeiden.
Univ.-Prof. Dr. Hartmut Oetker, Kiel
Redaktion (allg.)
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Problempunkt
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