Personalstatistik als Indiz für Frauendiskriminierung

1. Aus Statistiken können sich grundsätzlich Indizien für eine geschlechtsbezogene Diskriminierung ergeben. Sie müssen allerdings im Hinblick auf ein diskriminierendes Verhalten des Arbeitgebers aussagekräftig sein. Allein der Tatsache, dass in derselben Branche in der vergleichbaren Hierarchieebene der Frauenanteil höher ist als beim betroffenen Arbeitgeber, kommt keine Indizwirkung für eine geschlechtsbezogene Diskriminierung von Frauen bei Beförderungsentscheidungen zu.

2. Gleiches gilt für den Umstand, dass in den oberen Hierarchieebenen des Arbeitgebers ein deutlich geringererFrauenanteil vorliegt als im Gesamtunternehmen. Für die Annahme einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung bedarf es weiterer Anhaltspunkte, die über die bloßen Statistiken hinausgehen.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 22. Juli 2010 – 8 AZR 1012/08

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Im beklagten Unternehmen waren die Stellen auf den ersten drei Führungsebenen (Vorstand, Direktoren, Bezirksdirektoren) ausschließlich mit Männern besetzt. Die Klägerin ist seit Anfang 1993 im Personalwesen des Unternehmens tätig. Bei der Neubesetzung der Stelle des Personaldirektors wurde sie nicht berücksichtigt. Stattdessen erhielt ein männlicher Mitbewerber die Position. Die Mitarbeiterin machte als unmittelbares Indiz für ihre Benachteiligung eine "gläserne Decke" zwischen ihrer Hierarchieebene (Abteilungsleiter) und derjenigen, auf die sie bei benachteiligungsfreier Auswahl nach ihrer Meinung hätte aufsteigen müssen (Direktorenebene), geltend. Damit behauptete sie, dass Frauen, die zwei Drittel der Belegschaft stellen, regelhaft nicht in bestimmte Hierarchieebenen der Beklagten aufsteigen könnten. Die Arbeitnehmerin klagte auf Entschädigung für die Diskriminierung und auf Schadensersatz rückwirkend in Höhe der Gehaltsdifferenz von 28.214,66 Euro und für die Zukunft zeitlich unbegrenzt i. H. v. zusätzlichen 1.467,85 Euro monatlich. Sie war damit in der 2. Instanz erfolgreich (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 26.11.2008 - 15 Sa 517/08, AuA 2/09, S. 120 ff.): Sind alle 27 Führungspositionen des Unternehmens mit Männern besetzt, obwohl Frauen zwei Drittel der Belegschaft stellen, indiziere dies in ausreichendem Maße eine geschlechtsspezifische Diskriminierung bei einer Beförderung.

Entscheidung

Der 8. Senat des BAG hob die Entscheidung des LAG auf und verwies die Sache dorthin zurück. Um im Fall beurteilen zu können, ob signifikant weniger Frauen als Männer die Hierarchiestufe oberhalb einer angenommenen „gläsernen Decke“ erreichen, bedarf es der Feststellung, wie viele Frauen überhaupt unterhalb dieser angekommen sind. Darüber gibt der Anteil von Frauen an der Gesamtbelegschaft keinen Aufschluss. Auch begründet der Umstand, dass bei einem Arbeitgeber in Führungspositionen zahlreiche Männer mit sehr langer Betriebszugehörigkeit arbeiten, für sich betrachtet und ohne weitere Anhaltspunkte nicht die Vermutung für eine frühere diskriminierende Haltung des Arbeitgebers gegenüber Frauen. Allein die Tatsache, dass seit 30 Jahren keine Frau Direktorin war, hat ohne Zahlenmaterial, ob und ggf. in welchem Umfange es externe oder interne Bewerbungen von Frauen oder geeignete Mitarbeiterinnen im Betrieb gab, keine Aussagekraft. Es lässt sich nicht nach allgemeiner Lebenserfahrung vermuten, dass in den vergangenen 30 Jahren so viele geeignete Arbeitnehmerinnen zur Verfügung standen, dass die mangelnde Besetzung von Direktorenstellen mit Frauen auf Diskriminierungen beruht.

 

Es ist auch nicht richtig, wenn das Berufungsgericht annimmt, die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf könne sich nicht auf den Anteil von Männern und Frauen in höheren Hierarchieebenen auswirken, weil dies allenfalls bedeute, dass Frauen sich generell nicht im selben Maße wie Männer für eine Berufstätigkeit entscheiden. Nach allgemeiner Lebenserfahrung setzt ein beruflicher Aufstieg vielmehr häufig eine erhebliche Flexibilität voraus, z. B. die Bereitschaft, Überstunden zu leisten, an Fortbildungsmaßnahmen und Tagungen teilzunehmen, Dienstreisen zu unternehmen und sich an andere Standorte versetzen zu lassen.

Dies können Frauen, die häufig ausschließlich oder überwiegend mit der Kindererziehung betraut sind, jedoch nicht oder nur schlecht leisten. Auch wirken sich längere Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit wegen Arbeitsfreistellungen infolge von Schwangerschaft, Mutterschutz und (bislang überwiegend von Frauen in Anspruch genommener) Elternzeit negativ auf die Chancen zum beruflichen Aufstieg aus.

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Konsequenzen

Dem Urteil, das weit über den entschiedenen Einzelfall hinaus Bedeutung hat, ist in vollem Umfang zuzustimmen. Eine Statistik allein reicht nicht aus als Indiz für Diskriminierung. Vielmehr ist entscheidend, wie es zu dem Status quo, den die Statistik ausweist, gekommen ist. Offen ist nach wie vor das Problem des Endlosschadens. Der 8. Senat hob sowohl die Verurteilung des Unternehmens zur rückwirkenden Zahlung von Schadensersatz i. H. v. 28.214,66 Euro als auch zur zukünftigen Zahlung von zusätzlichen 1.467,68 Euro monatlich auf. Die Klägerin hatte ihre Behauptung, sie sei wegen ihres Geschlechts nicht befördert und damit unzulässig benachteiligt worden, bisher nicht auf ausreichende Indizien gestützt. Der Punkt „Endlosschaden“ war hierfür nicht entscheidungserheblich.

Praxistipp

Arbeitgebern ist zu empfehlen, über alle Stellenbesetzungen eine Statistik zu führen, die zeigt, wer sich wann beworben hat. Die schließlich getroffene Auswahl sollten sie anhand des Anforderungsprofils der Stelle begründen und dokumentieren.

Dr. Wolf Hunold, Unternehmensberater, Neuss

Redaktion (allg.)

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