Neutralitätspflicht des Arbeitgebers bei Betriebsratswahl

Der Arbeitgeber hat im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen eine Neutralitätspflicht. Dagegen verstößt er in zur Wahlanfechtung berechtigender Art und Weise, wenn er in Mitarbeiterversammlungen die Arbeitnehmer in Verbindung mit deutlicher Kritik am Verhalten des Betriebsrats zur Aufstellung alternativer Listen auffordert und äußert, wer die Betriebsratsvorsitzende bzw. den Betriebsrat wiederwähle, begehe Verrat am Unternehmen.

Hessisches LAG, Beschluss vom 12. November 2015 – 9 TaBV 44/15

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Arbeitgeber betreibt ein Pharmaunternehmen. Am 5.5.2014 wurde ein neuer Betriebsrat gewählt, wobei es vier Listen gab. Eine bislang in dem Gremium vertretene Gruppe erzielte dabei mit ihrer Liste ein schlechteres Ergebnis als bei der vorherigen Wahl. Den Grund hierfür sah sie in einem Gespräch der Personalleitung am 12.9.2013 mit einer Gruppe von Arbeitnehmern (AT-Angestellte) vor der Wahl. Dabei sei zur Opposition gegen Kandidaten ihrer Liste aufgerufen und versucht worden, den amtierenden Betriebsrat zu diskreditieren. Außerdem habe man ihre Arbeit im vorherigen Betriebsrat einseitig dargestellt und kritisiert.

Es sei geäußert worden, die Betriebsratsvorsitzende C behindere die Arbeit des Unternehmens (u. a. 50 Beschlussverfahren), die Betriebsratsarbeit sei eine Zumutung und wer C wiederwähle, begehe Verrat am Unternehmen.

Das von Vertretern dieser Gruppe eingeleitete Wahlanfechtungsverfahren hatte vor dem LAG Erfolg. Die Revision wurde zugelassen.

Entscheidung

Nach Auffassung des Hess. LAG ist die Wahl nicht nichtig. Nichtig ist eine Betriebsratswahl nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, wenn ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl vorliegt, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht (BAG, Beschl. v. 13.3.2013 – 7 ABR 70/11, AuA 3/14, S. 183). Darunter fällt die vorliegende Verletzung der Neutralitätspflicht des Arbeitgebers und die Beeinflussung des Wahlverfahrens nicht.

Die Wahlanfechtung ist nach Ansicht des LAG aber begründet. Die Betriebsratswahl ist danach unwirksam, weil das Unternehmen unter Verstoß gegen seine Neutralitätspflicht aus § 20 BetrVG versucht hat, die Wahl zu beeinflussen. Ihm ist es verwehrt, in irgendeiner Weise auf die Wahlentscheidung Einfluss zu nehmen.

Die Bildung und Zusammensetzung des Betriebsrats ist ausschließlich eine Angelegenheit der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat sich als Gegenspieler jeglichen Einflusses auf dessen Zusammensetzung zu enthalten. Er darf insbesondere keine Wahlpropaganda für oder gegen eine Liste oder bestimmte Wahlbewerber machen (LAG Hamburg, Beschl. v. 12.3.1998 – 2 TaBV 2/98) und unterliegt einem strikten Neutralitätsgebot (LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 1.8.2007 – 12 TaBV 7/07). Dieses Verbot gilt nicht nur für den Arbeitgeber, sondern auch für leitende Angestellte. Es kommt nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Neutralitätspflicht verletzt wurde, sondern darauf, ob der Verstoß sich auf eine bevorstehende Wahl bezieht und auswirkt und ob es sich um eine gezielte Einflussnahme darauf handelt. Die Neutralitätspflicht wird nicht nur durch Verstöße ab dem Zeitpunkt der Bestellung des Wahlvorstands und der Einleitung der Wahl verletzt.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Personalleitung vor der Wahl gegenüber einer Gruppe von Mitarbeitern zur Opposition gegen bestimmte Kandidaten für die Betriebsratswahl aufgerufen hat, die bereits im Gremium tätig waren. Außerdem ist deren damalige Arbeit in der Arbeitnehmervertretung einseitig geschildert und angegriffen worden.

Der im Mai 2014 gewählte gemeinsame Betriebsrat kann allerdings trotz der erfolgreichen Anfechtung der Wahl sein Amt vorerst weiter ausüben. Erst wenn der Beschluss rechtskräftig wird, endet dieses Amt mit Wirkung für die Zukunft.

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Konsequenzen

Der Arbeitgeber muss sich bei der Wahl des Betriebsrats neutral verhalten und darf nicht versuchen, die Wahl zu beeinflussen. Gibt das Unternehmen Empfehlungen zu den Wahlen, etwa das Wahlrecht in einer bestimmten Weise auszuüben, ist dies – wenn eine Beeinflussung des Wahlergebnisses dadurch nicht ausgeschlossen werden kann – ein Grund für eine Anfechtung. Neutral verhält sich der Arbeitgeber auch nicht mehr, wenn er gezielt einzelne, ihm besonders geeignete Bewerber zur Kandidatur auffordert, damit „etwas Bewegung“ in das Betriebsratsgremium kommt (Maschmann, BB 2010, S. 251).

Keine unzulässige Wahlbeeinflussung i. S. d. § 20 Abs. 2 BetrVG stellt es dar, wenn es das Unternehmen unterlässt, die übrigen Wahlbewerber von sich aus über eine Wahlwerbeidee zu informieren, die eine andere Liste an es wegen der Nutzung betrieblicher Ressourcen herangetragen hat (z. B. Bereitstellung inner­betrieblicher Monitornutzung für die Bewerber einer Liste als Wahlwerbung auf deren Anfrage, LAG Hamm, Beschl. v. 27.10.2015 – 7 TaBV 19/15).

Praxistipp

Die Betriebsratswahl soll allein auf der freien Entscheidung der Betriebsangehörigen beruhen. Ein Arbeitgeber darf eine schlechte Zusammenarbeit mit dem Gremium zwar im Rahmen der gebotenen Sachlichkeit kritisieren. Zur Vermeidung einer Anfechtung dürfen er und seine Vertreter die Betriebsratswahl aber nicht beeinflussen durch Wahlempfehlungen/-aufrufe, Bildung oder Bevorzugung von Listen oder unsachliche, herabwürdigende Kritik.

RA Volker Stück, Leiter Personal und Integrity-Beauftragter Hochspannungsprodukte, ABB AG, Hanau

Redaktion (allg.)

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