Mitbestimmung bei Zulage

Der allgemeine Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wird auch für den Bereich der Vergütung nicht verdrängt durch das in § 80 Abs. 2 Satz 2, 2. Hs. BetrVG geregelte Recht auf Einblick in die Bruttolohn- und -gehaltslisten.

BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 ABR 68/05 §§ 75 Abs. 1, 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, 2. Hs., 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG

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Problempunkt

Die Arbeitgeberin ist ein IT-Dienstleistungsunternehmen und beschäftigt in A 690 Mitarbeiter. Einem Teil der Mitarbeiter - 1999 ca. 20% - gewährte sie außertarifliche Sonderzulagen, um diese zu gewinnen bzw. zu binden. Für die Zulagen sowie deren Erhöhungen stellt sie den Abteilungsleitern 0,6% der Bruttogehaltssumme aller Arbeitnehmer der jeweiligen Abteilung zur Verfügung. Diese entscheiden selbstständig über die Verteilung der Mittel.

Im Jahr 2000 erhielt der Betriebsrat eine Excel-Tabelle, aus der sich die Erhöhungen der außertariflichen Sonderzulagen je Mitarbeiter im Jahr 1999 ergaben. Für die Jahre 2000 bis 2002 bekam er derartige Tabellen nicht. Im September 2003 verlangte der Betriebsrat deshalb, ihm zur Prüfung seines Mitbestimmungsrechts schriftlich Auskunft zu erteilen, welche Mitarbeiter in den Jahren 2000 bis 2002 in welchem Umfang eine Erhöhung ihrer außertariflichen Zulagen erhalten haben. Die Arbeitgeberin lehnte dies ab. Daraufhin leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren ein, das in allen Instanzen erfolgreich war.

Entscheidung

Das BAG sah den Arbeitgeber als verpflichtet an, dem Betriebsrat schriftlich darüber Auskunft zu erteilen, welche Mitarbeiter in welcher Höhe in den Jahren 2000 bis 2002 außertarifliche Zulagen erhielten. Der Anspruch folgt aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Dieser wird auch für den Bereich der Vergütung nicht durch das in § 80 Abs. 2 Satz 2, 2. Hs. BetrVG normierte Einsichtsrecht des Betriebsausschusses bzw. eines nach § 28 BetrVG gebildeten Ausschusses in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter verdrängt. Beide Ansprüche stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander, da sie sich nach Inhalt und Voraussetzungen unterscheiden.

Auch wenn der Arbeitgeber seine Informationsmittel nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG grundsätzlich frei wählen kann, ist er bei umfangreichen, komplexen Auskünften nach § 2 Abs. 1 BetrVG regelmäßig verpflichtet, dem Betriebsrat diese schriftlich zu erteilen (ErfK/Kania, § 80 BetrVG Rdnr. 23). Aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG folgt jedoch kein Anspruch auf schriftliche Mitteilung des gesamten Inhalts der Bruttolohn- und -gehaltslisten. Dieser bezieht sich vielmehr nur auf solche Angaben, die der Betriebsrat benötigt, um seine betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben wahrnehmen zu können.

Der Betriebsrat konnte die Auskunft verlangen, da zumindest eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ihm bei der Vergabe der Sonderzulagen eine betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe zukommt. Die Mitbestimmungsrechte ergeben sich sowohl aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG als auch aus § 80 Abs. 1, § 75 Abs. 1 BetrVG zur Überwachung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Zwar ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, ob, in welcher Höhe und wofür (Zweck/Personenkreis) er außertarifliche Leistungen gewährt (BAG v. 8.12.1981 - 1 ABR 55/79, DB 1982, S. 1276). Entschließt er sich aber dazu, so unterliegen seine (Verteilungs-)Kriterien zur Berechnung der einzelnen Leistungen sowie ihre Höhe im Verhältnis zueinander der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, wenn ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Angesichts der Anzahl (20%) und der Tatsache, dass ein bestimmtes Budget (0,6%) vorgesehen war, lag dies hier nahe.

Die begehrten Informationen sind zur Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben erforderlich, da ohne Auskünfte, wie sich die Sonderzulagen in den Jahren 2000 bis 2002 entwickelt haben und welche Verteilungsgrundsätze angewendet wurden, die Frage der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit nicht überprüft werden kann. Dass es dabei um einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geht, steht dem nicht entgegen. Der Betriebsrat kann aufgrund der Entwicklung der Sonderzulagen in der Vergangenheit der Arbeitgeberin Vorschläge für die künftige Handhabung unterbreiten und diese ggf. zum Gegenstand eines Einigungsstellenverfahrens machen.

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Konsequenzen

Die Entscheidung stärkt die Rechte des Betriebsrats. Der Arbeitgeber muss diesem die schriftliche Aufstellung der Sonderzulagen vorlegen. Dabei liegt es nahe, dass der Betriebsrat nach Prüfung der Zulagengewährung von einer Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte ausgehen wird. Die Argumentation des Arbeitgebers, es handele sich um jeweils individuelle Vereinbarungen, denen kein System zugrunde lag und die zur Mitarbeitergewinnung/-bindung gewährt wurden, vermochte das BAG im Rahmen des Auskunftsanspruchs - bei dem die Wahrscheinlichkeit von Betriebsratsaufgaben genügt - jedenfalls nicht zu überzeugen. Dieser Zweck beseitigt nicht generell den kollektiven Tatbestand. Auch Leistungsgesichtspunkte haben typischerweise einen kollektiven Bezug, da sie einen Vergleich voraussetzen (BAG v. 14.6.1994 - 1 ABR 63/93, DB 1995, S. 680).

Sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt, kann dies für den Arbeitgeber folgende unliebsame Konsequenzen haben:

- Der Betriebsrat kann einen Unterlassungsanspruch geltend machen.

- Er hat außerdem die Möglichkeit - ggf. über die Einigungsstelle - eine mitbestimmte (Neu-)Verteilung zu verlangen. Kommt es dann - nach Auszahlung an die Mitarbeiter - zu einer abweichenden Einigung oder einem Spruch der Einigungsstelle mit einer anderen Verteilung, entstehen für den Arbeitgeber möglicherweise Mehrkosten, die den ursprünglich vorgesehenen Dotierungsrahmen übersteigen. Er darf sich jedoch aufgrund der mitbestimmungswidrigen Verteilung nicht auf die Beschränkung des Dotierungsrahmens berufen. Das Risiko liegt insoweit bei ihm (Fitting, § 87 BetrVG Rdnr. 446; ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rdnr. 108). Unter Verletzung von Mitbestimmungsrechten erbrachte Zahlungen kann das Unternehmen nicht von den Begünstigten zurückfordern. Schlimmstenfalls müsste der Arbeitgeber dann noch einmal ein 0,6%-Budget "drauflegen", nämlich dann, wenn keiner der ursprünglichen Empfänger der Zulage zum Kreise derjenigen gehört, die nach der mitbestimmten Entscheidung begünstigt sind. Im Fall von Zahlungen kann eine mitbestimmte Entscheidung noch nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit getroffen und durch Nachzahlungen vollzogen werden (BAG v. 14.6.1994 - 1 ABR 63/93, a.a.O.).

Praxistipp

Mitbestimmungsfrei kann der Arbeitgeber Zulagen zur Mitarbeiterbindung/-gewinnung nur gewähren, wenn ein einzelner Arbeitnehmer - bei der Einstellung oder auch während des Arbeitsverhältnisses - die Initiative ergreift und etwa mit dem Hinweis, andernfalls das Arbeitsverhältnis nicht einzugehen oder zu beenden, alleine für sich eine individuelle Leistung aushandelt. Die pauschale Berufung auf Arbeitsmarktgründe, um den individuellen Charakter eines Sonderbonus zu begründen, genügt dagegen nicht. Außerdem sollte es sich um eine überschaubare Zahl von Fällen handeln und kein festes (Abteilungs-)Budget zur Verfügung gestellt werden.

RA Volker Stück, Stuttgart

Redaktion (allg.)

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