Kündigungsrecht: Keine Weiterbeschäftigung im Ausland

1. Die aus § 1 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 KSchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung an einem anderen – freien – Arbeitsplatz zu beschäftigen, erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb oder Betriebsteil des Unternehmens.
2. Eine über die Vorgaben des KSchG hinausgehende „Selbstbindung“ des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Unternehmens mag sich im Einzelfall aus § 241 BGB, aus § 242 BGB oder aus einem Verzicht auf den Ausspruch einer Beendigungskündigung ergeben können.

BAG, Urteil vom 24. September 2015 – 2 AZR 3/14

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Bild: Stefan-Yang / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Beklagte, eine Bank mit Sitz in der Türkei, unterhielt mehrere Zweigstellen in Deutschland. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und seit 1991 als Leiter der deutschen Zweigstelle in M bei der Beklagten beschäftigt und immer nur in Deutschland tätig. Die Beklagte stellte ihren gesamten Geschäftsbetrieb in Deutschland zum 30.4.2011 ein. Sie bot dem Kläger zunächst zweimal im März/April 2011 einen Arbeitsplatz in der Türkei an und wies ihm nach seiner Ablehnung eine Tätigkeit als Leiter Auslandsgeschäfte in Istanbul ab dem 9.5.2011 zu. Der Kläger weigerte sich, diese Tätigkeit zu übernehmen. Daraufhin mahnte die Beklagte ihn zweimal wegen Arbeitsverweigerung ab und kündigte dann außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Der Kläger begründete seine dagegen gerichtete Klage mit der Unwirksamkeit der Versetzung in die Türkei, da die Beklagte eine dortige Tätigkeit nicht kraft ihres Direktionsrechts habe zuweisen können. Sie hätte zunächst eine Änderungskündigung mit dem Ziel erklären müssen, ihn als Leiter einer türkischen Filiale zu beschäftigen. Die Beklagte meinte, dass die Versetzung vom Direktionsrecht gedeckt sei, da der Arbeitsvertrag des Klägers eine Versetzungsklausel enthielt, die auch eine Versetzung in eine ausländische Filiale vorsah. Sie sei im Rahmen der ordentlichen Kündigung auch nicht verpflichtet, den Kläger in der Türkei weiterzubeschäftigen. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Entscheidung

Das BAG hielt die ordentliche Kündigung für wirksam. Sie war gem. § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in Deutschland entgegenstanden. Der Bedarf an einer Beschäftigung im deutschen Betrieb der Beklagten war vor Ablauf der Kündigungsfrist am 30.11.2011 weggefallen infolge der vollständigen und dauerhaften Stilllegung des deutschen Geschäftsbetriebs zum 30.4.2011. Die vollständige Stilllegung eines Betriebs zählt zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG (BAG, Urt. v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, NZA 2013, S. 1007) und macht eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG entbehrlich.

Zum Kündigungszeitpunkt gehörte der Kläger noch dem stillgelegten Betrieb in Deutschland an. Er war zuvor nicht wirksam auf die Stelle in Istanbul versetzt worden. Die Versetzung als Leiter der Abteilung für Auslandsgeschäfte in die Türkei war unwirksam, da sich die arbeitsvertragliche Versetzungsklausel lediglich auf Veränderungen des Arbeitsortes, nicht jedoch auch auf die Zuweisung einer anderen Arbeitsaufgabe – hier: Abteilungsleiter in einer Handelsfiliale statt Leiter einer Zweigstelle – bezog. Das nicht erweiterte Direktionsrecht des Arbeitgebers gem. § 106 GewO umfasst keine Abänderung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit. Da die Versetzung auf den Posten eines Abteilungsleiters wegen Überschreitung der Grenzen des Direktionsrechts unwirksam war, konnte der Arbeitsplatz des Klägers auch nicht wenigstens bis zu einer gerichtlichen Entscheidung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB in die Türkei verlagert worden sein (vgl. BAG, Urt. v. 22.10.2012 – 5 AZR 249/11, AuA 6/13, S. 373).

Der Arbeitgeber war nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 lit. b) KSchG verpflichtet, zur Vermeidung einer Beendigungskündigung einen freien Arbeitsplatz – z. B. durch Änderungskündigung – anzubieten, da sich diese Verpflichtung grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze im Ausland erstreckt (BAG, Urt. v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, NZA 2014, S. 730). Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, dem Kläger – über die dazu nicht ausreichenden Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG hinaus – einen Arbeitsplatz in der Türkei zuzuweisen. Ein Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch zu machen, wenn dies für ihn die Gefahr begründet, einen Rechtsstreit führen zu müssen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verlangt von ihm nicht, die Belange des Beschäftigten unter Hintanstellung eigener schutzwürdiger Belange – oder derjenigen anderer Mitarbeiter – durchzusetzen. Die Beklagte musste den in der BRD verwurzelten Kläger nicht aus falsch verstandener „Fürsorge gleichsam zu seinem „Glück zwingen“. Es kommt hinzu, dass der für den „abgebenden“ deutschen Betrieb gewählte Betriebsrat nach § 99 BetrVG die Zustimmung zur Versetzung sämtlicher betroffener Arbeitnehmer, auch des Klägers, in die Türkei verweigert hatte.

Die Beklagte hatte sich durch ihre – insgesamt unwirksame – Versetzungsklausel nicht selbst gebunden, einen Arbeitsplatz als Leiter in der türkischen Filiale zuzuweisen oder durch Änderungskündigung anbieten zu müssen. Auch hatte sie sich nicht treuwidrig verhalten, indem sie zunächst dem Kläger eine solche Auslandsbeschäftigung anbot, dann aber später kündigte.

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Konsequenzen

Es bleibt dabei, dass einem Arbeitnehmer bei Ausspruch einer Beendigungskündigung grundsätzlich kein freier Arbeitsplatz im Ausland angeboten werden muss. Eine Selbstbindung des Arbeitgebers, die ihn zum Angebot einer Weiterbeschäftigung im Ausland verpflichten kann, ist nur in seltenen Ausnahmefällen anzunehmen. Eine Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag kann auf eine solche Selbstbindung hindeuten.

Im entschiedenen Fall bestand keine solche Selbstbindung, weil der Mitarbeiter zuvor mehrfach abgelehnt hatte, eine Beschäftigung in der Türkei aufzunehmen. Anders kann die Pflicht zur Weiterbeschäftigung im Ausland zu beurteilen sein, wenn der Beschäftigte seine Bereitschaft erklärt, ins Ausland zu wechseln oder schon zuvor im Ausland eingesetzt war.

Praxistipp

Ist der Arbeitsort im Arbeitsvertrag nicht näher bestimmt, kann der Arbeitgebereinen Arbeitnehmer auf Grundlage seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) allenfalls innerhalb der Bundesrepublik Deutschland versetzen (vgl. ErfK/Preis, 13. Aufl., § 106 GewO Rdnr. 16). Die Grenzen des Versetzungsrechts wie die des KSchG bewegen sich in diesem Rahmen.

RA Volker Stück, Aschaffenburg

Redaktion (allg.)

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