Kündigung in Altersteilzeitarbeitsphase

Die Stilllegung des Betriebes stellt ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG dar, das die Kündigung eines dort beschäftigten Arbeitnehmers auch dann bedingt, wenn er sich in der Arbeitsphase der Altersteilzeit nach dem Blockmodell befindet.

BAG, Urteil vom 16. Juni 2005 - 6 AZR 476/05 § 1 Abs. 2 KSchG

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger ist bei der Beklagten, über deren Vermögen 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt wurde, seit 1959 als Karosseriebaumeister beschäftigt. Seit 2000 ist er als schwer behinderter Mensch anerkannt. Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung fand ein tariflicher Altersschutz Anwendung, wonach dem Kläger nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden konnte. Im Januar 2001 schlossen die Parteien einen Altersteilzeitvertrag im Blockmodell, das die Aufteilung in eine Arbeitsphase vom 1.2.2001 bis zum 31.1.2003 und eine Freistellungsphase vom 1.2.2003 bis zum 31.1.2005 vorsah. Nachdem eine Sanierung des Unternehmens gescheitert war, entschloss sich die Beklagte zur Stilllegung zum 31.8.2002. Sie kündigte allen 47 Arbeitnehmern und stellte 38 frei; die übrigen verrichteten bis Oktober 2002 Abwicklungsarbeiten. Nach Zustimmung des Integrationsamtes mit Bescheid vom 15.9.2002 wurde dem Kläger am 26.9.2002 zum 31.12.2002 gekündigt. Der Kläger macht geltend, die Kündigung sei wegen des Altersteilzeitvertrages ausgeschlossen und wegen der Zeitnähe des Ablaufs der Kündigungsfrist zum Beginn der Freistellungsphase unverhältnismäßig und daher unwirksam. Vor dem ArbG Frankfurt und dem Hessischen LAG hatte er Erfolg.

Entscheidung

Das BAG hielt die Kündigung für rechtmäßig: § 113 InsO gewährt dem Insolvenzverwalter eine von § 622 Abs. 2 BGB oder tariflichen Regelungen abweichende verkürzte Kündigungsfrist von drei Monaten. Weder die vereinbarte Befristung des Altersteilzeitvertrages ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit noch die entsprechende Regelung im TV-Altersteilzeitarbeit noch der tarifliche Alterskündigungsschutz sind insolvenzfest. Aufgrund Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung unkündbare Arbeitsverhältnisse sind im Insolvenzverfahren ordentlich kündbar (BAG, Urt. v. 22.9.2005 - 6 AZR 526/04). Gleiches gilt für befristete Arbeitsverhältnisse, für die das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters unabhängig davon besteht, ob das ordentliche Kündigungsrecht vorbehalten wurde oder nicht (BAG, Urt. v. 6.7.2000 - 2 AZR 695/99). Da § 113 InsO keinen selbständigen Kündigungsgrund der Insolvenz oder Sanierung enthält, muss die Kündigung sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2, 3 KSchG sein, soweit dieses anwendbar ist. Die Entscheidung zur Betriebsstilllegung (hier zum 31.8.2002) ist der typische Fall der gestaltenden Unternehmerentscheidung, die den Beschäftigungsbedarf spätestens zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist (31.12.2002) wegfallen lässt. Bei vollständiger Stilllegung des Betriebes, d.h. Beendigung aller Arbeitsverhältnisse, ist die Sozialauswahl entbehrlich (BAG, Urt. v. 7.3.2002 - 2 AZR 147/01; BAG, Urt. v. 18.1.2001 - 2 AZR 514/99, AuA 2001, S. 523). Bei betriebsbedingten Kündigungen kann eine Interessenabwägung nur in "Härtefällen", deren Voraussetzungen so hoch anzusetzen sind, dass kaum mehr Raum für eine praktische Anwendung bleibt, zur Unwirksamkeit führen (BAG, Urt. v. 20.1.2005 - 2 AZR 500/03, AuA 11/05, S. 684). Ein solcher Härtefall lag nicht vor, da der Kläger als Alternative zur Altersrente nach ATZ auch solche wegen Arbeitslosigkeit beziehen könnte. Eine Änderungskündigung war nicht als milderes Mittel möglich. Das Ruhen der Hauptpflichten in der Arbeitsphase bis zum Eintritt in die Freistellungsphase würde das ATZ-Verhältnis in Frage stellen (BAG, Urt. v. 10.2.2004 - 9 AZR 401/02, AuA 9/04, S. 50). Auch eine Verkürzung des ATZ-Verhältnisses durch Änderungskündigung würde die Masse nicht nennenswert entlasten, wenn sie nicht zugleich auf einen Wegfall der Aufstockungsbeträge gerichtet wäre, was wiederum das Altersteilzeitarbeitsverhältnis als solches in Frage stellen würde.

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Konsequenzen

Bereits früher hat das BAG entschieden, dass eine betriebsbedingte Kündigung wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung in der Freistellungsphase der Altersteilzeit - ebenfalls in der Insolvenz - nicht möglich ist, weil der Beschäftigungsbedarf nicht entfallen kann (Urt. v. 5.12.2002 - 2 AZR 571/01). Nun fügt sich das Mosaik langsam: In der Arbeitsphase ist die betriebsbedingte Kündigung möglich (Stück, NZA 2000, S. 751), und zwar - jedenfalls in der Insolvenz - auch, wenn nach Ablauf der Kündigungsfrist nur eine kurze Zeit bis zum Eintritt in die Freistellungsphase zu überbrücken wäre. Entscheidende Faktoren sind in der Praxis folglich der Wechselzeitpunkt von Arbeits- in Freistellungsphase einerseits sowie Kündigungsausspruch- und -frist andererseits. Höchstrichterlich noch ungeklärt sind die Fälle außerhalb der Insolvenz. Die vorzeitige Beendigung des ATZ-Verhältnisses führt zu einer sog. Störfallabwicklung.

Praxistipp

Da der Altersteilzeitvertrag ein befristeter Vertrag ist, ist eine ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 3 TzBfG außerhalb der Insolvenz nur möglich, wenn dies ausdrücklich vereinbart ist. Deshalb sollte der Altersteilzeitvertrag vorsorglich eine entsprechende Klausel enthalten, z.B. "Während der Laufzeit des Altersteilzeitvertrages ist eine ordentliche Kündigung möglich."

RA Volker Stück, Stuttgart

Redaktion (allg.)

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