Gemeinschaftsunternehmen und Gemeinschaftsbetrieb

1. Weist ein öffentlicher Arbeitgeber einen Arbeitnehmer einer als GmbH gebildeten Arbeitsgemeinschaft für Dienstleistungen zu, ist vor der Kündigung nicht der Betriebsrat der Arbeitsgemeinschaft anzuhören, sondern der Personalrat des öffentlichen Arbeitgebers.

2. Von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen i. S. v. § 1 Abs. 2 BetrVG ist auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Dieser muss sich auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken.

3. Beim Betrieb eines Gemeinschaftsunternehmens handelt es sich betriebsverfassungsrechtlich nicht um einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen, sondern um den Betrieb eines eigenen Unternehmens, wenn das Gemeinschaftsunternehmen nach außen rechtsgeschäftlich handelt und damit am Rechtsverkehr teilnimmt. Dies gilt auch, wenn die Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag mit den Beteiligungsunternehmen abschließen, dem Gemeinschaftsunternehmen jedoch zur Beschäftigung überlassen sind.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 – 6 AZR 132/10

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Bild: Erwin-Wodicka / stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger war bei der Stadt F unter Bezug auf den TVöD angestellt. F hatte mit der Arbeitsagentur zur Wahrnehmung der Aufgaben gem. SGB II eine Arbeitsgemeinschaft gebildet und dazu die R GmbH gegründet. Lediglich der Geschäftsführer der R GmbH war bei dieser angestellt. Die übrigen Beschäftigten waren als Beamte oder Angestellte jeweils im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags an die R GmbH überlassen. Der Geschäftsführer der R GmbH besaß den Beschäftigten gegenüber nur fachliche Weisungsbefugnisse. Weitergehende Rechte durfte er nicht ausüben. Hierzu gab es eine Vereinbarung mit dem Personalrat des Jugend- und Sozialamts der Stadt F. Im September 2008, noch während der Probezeit, kündigte F das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach vorheriger Anhörung des Personalrats. Der zwischenzeitlich bei der R GmbH gegründete Betriebsrat wurde nicht nach § 102 BetrVG angehört. Die beiden Vorinstanzen gaben der Kündigungsschutzklage mit der Begründung statt, der Betriebsrat der R GmbH hätte angehört werden müssen.

Entscheidung

Das BAG gab der Revision der Stadt F statt. Es stellte fest, dass die R GmbH nicht als gemeinsamer Betrieb der Stadt F und der Arbeitsagentur i. S. v. § 1 Abs. 2 BetrVG anzusehen war, der betriebsverfassungs- und kündigungsschutzrechtlich wie ein Betrieb behandelt wird. Vielmehr handelte es sich um ein Gemeinschaftsunternehmen. Die Arbeitsverhältnisse der bei der R GmbH Beschäftigten bestanden entweder mit der Stadt F oder der Arbeitsagentur. Die R GmbH hatte sowohl nach den schriftlichen Vereinbarungen als auch der gelebten Praxis keine Arbeitgeberfunktion gegenüber ihren Mitarbeitern, die über eine fachliche Weisung hinausging. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten waren insoweit mit den Beziehungen zwischen Leiharbeitnehmer, Entleiher und Verleihunternehmen vergleichbar. Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen kann zwar auch durch die Überlassung von Arbeitnehmern für einen gemeinsamen arbeitstechnischen Zweck entstehen. Er setzt aber – ergänzend zum fachlichen Weisungsrecht – die Übertragung weiterer Arbeitgeberrechte in sozialen und personellen Angelegenheiten voraus. Nur dann liegt die notwendige einheitliche personelle Leitung vor. Daher war hier vor der Kündigung nicht der Betriebsrat der Arbeitsgemeinschaft, sondern der Personalrat des öffentlichen Arbeitgebers anzuhören.

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Konsequenzen

Das BAG macht in seiner Entscheidung erfreulich deutlich, wo die Unterschiede zwischen bloßer Arbeitnehmerüberlassung und der Bildung eines gemeinsamen Betriebs liegen – in Art und Umfang der Arbeitgeberrechte des Unternehmens, dem Arbeitskräfte überlassen werden. Gerade bei Kooperationen zwischen öffentlichem und privatem Sektor besteht immer wieder Unklarheit darüber, ob beide einen gemeinsamen Betrieb i. S. d. BetrVG bilden können – was möglich ist – und welche Mitbestimmungsrechte welche Arbeitnehmervertretung geltend machen kann.

Praxistipp

Die oben genannten Fragen hat die BAG-Entscheidung nun geklärt. Bevor öffentliche und private Partner eine Kooperation eingehen, sollten sie sich sorgfältig Gedanken machen, wer welche Arbeitgeberrechte gegenüber den eingesetzten Arbeitnehmern ausüben darf. Abhängig von dieser Entscheidung ist die Überlassung der Arbeitnehmer dann

  • entweder als Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. AÜG (bzw. Personalgestellung) zu qualifi zieren oder
  • als gemeinsamer Betrieb i. S. d. BetrVG, bei dem der eine Partner die Arbeitnehmer beisteuert, der andere weitere Betriebsmittel, Knowhow und Leitungsmacht.

RA und FA für Arbeitsrecht Bernd Weller, Partner bei Heuking Kühn Lüer Wojtek, Frankfurt am Main

Redaktion (allg.)

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