Folgen illegaler grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung
Problempunkt
Die Beteiligten stritten über die Rechtmäßigkeit einer Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen. Dem Entleiher und Kläger – Inhaber eines Unternehmens mit Sitz in Deutschland – wurde von einem in Luxemburg ansässigen Unternehmen (Verleiher) in der Zeit von Dezember 2000 bis Februar 2007 ein Leiharbeitnehmer überlassen. Der luxemburgische Verleiher führte für diesen Leiharbeitnehmer Beiträge an die Luxemburger Sozialversicherung ab. Eine der Überlassung zugrunde liegende Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besaß der Verleiher lediglich bis April 2001.
Nach entsprechenden Feststellungen im Rahmen einer Betriebsprüfung verlangte die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) für die Zeit von Dezember 2003 bis Februar 2007 Sozialversicherungsbeiträge i. H. v. ca. 41.000 Euro für alle Zweige der Sozialversicherung. Sie berief sich auf die Unwirksamkeit des zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer bestehenden Arbeitsvertrags und vertrat die Ansicht, dass infolge der fehlenden Überlassungserlaubnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis i. S. d. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zustande gekommen sei. Auf dieses Arbeitsverhältnis wäre entsprechend dem Territorialitätsprinzip deutsches Sozialversicherungsrecht anzuwenden. Lediglich infolge der Verjährung beschränkten sich die Nachforderungen der DRV auf den Zeitraum ab Dezember 2003.
Entscheidung
Nachdem das SG Trier die Klage des Entleihers abgewiesen hatte und auf die Berufung des Entleihers das LSG Rheinland-Pfalz das Urteil der ersten Instanz sowie die Bescheide der DRV aufgehoben hatte, unterlag der Entleiher der Revision der DRV beim BSG.
Die Richter stellten fest, dass mangels Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem in Deutschland ansässigen Entleiher gem. §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Die Vorschriften des AÜG gelten aufgrund des Territorialitätsprinzips auch für den Fall, dass ausländische Verleiher grenzüberschreitend Arbeitnehmer nach Deutschland überlassen. Demzufolge bedarf hier die Arbeitnehmerüberlassung, die nach Deutschland erfolgt, auch der Genehmigung zur Überlassung nach deutschem Recht, selbst wenn der Verleiher eine Erlaubnis seines Heimatstaates besitzt oder eine solche nicht benötigt. Für die Bewertung als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist es irrelevant, dass das Arbeitsentgelt bereits vom Verleiher übernommen wurde. Entscheidend ist im deutschen Sozialversicherungsrecht das sog. Entstehungsprinzip, wonach die Beitragspflicht bereits dann entsteht, wenn die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs vorliegen. Es kommt nicht darauf an, ob oder von wem der Anspruch erfüllt wurde. Die Zahlung des Entgelts durch den Verleiher bewirkt zwar, dass der Anspruch des Leiharbeitnehmers erlischt, da zwischen Verleiher und Entleiher eine Gesamtschuldnerschaft besteht. Hierauf kommt es nach der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung jedoch nicht an. Da Ausnahmen von der Anwendbarkeit des deutschen Sozialversicherungsrechts nicht festgestellt wurden, unterlag der Entleiher. Das BSG wies darauf hin, dass dem Entleiher möglicherweise Regress- und Kondiktionsansprüche zustehen.
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Konsequenzen
Die Folgen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung können nicht dadurch umgangen werden, dass der Verleiher seinen Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Entleiher tragen daher neben dem Risiko der Begehung einer Ordnungswidrigkeit und der Verwirkung eines empfindlichen Bußgelds ein weiteres erhebliches finanzielles Risiko in Form der gesamtschuldnerischen Haftung für Sozialversicherungsbeiträge.
Praxistipp
Entleihern ist es dringend anzuraten, sich im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags das Bestehen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis versprechen zu lassen, eine entsprechende Vorlagepflicht zu vereinbaren und diese Vorlage auch tatsächlich einzufordern. Ferner sollten alle Belehrungen über die Hinweispflicht für den Fall des Wegfalls der Erlaubnis oder der Nichtverlängerung, Rücknahme oder Widerruf selbiger gem. § 12 Abs. 2 AÜG in den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag aufgenommen werden.
Informationspflichtenbezüglich gezahlter Arbeitsentgelte und abgeführter Sozialversicherungsbeiträge/Steuern und hieran gekoppelte Vertragsstrafen sind ebenfalls von Nutzen. Ergänzend sollte vor dem Hintergrund der Gefahr einer Insolvenz des Verleihers im Überlassungsvertrag, soweit im Einzelfall möglich, die Verpflichtung des Verleihers zur Vorlage von Garantien/Bürgschaften aufgenommen werden. Entleiher können sich letztlich auch dadurch schützen, dass sie vom Verleiher die Beibringung einer sog. A-1-Bescheinigung (ehemals E-101-Bescheinung) fordern. Diese A-1-Bescheinigung bescheinigt bindend, dass und wie lange das Sozialversicherungsrecht des Mitgliedstaats gilt, in dem der Verleiher seinen Sitz hat. Zwingend zu beachten ist jedoch der bescheinigte Zeitraum, welcher nicht überschritten werden darf, da anderenfalls wieder deutsches Sozialversicherungsrecht Anwendung findet. Entleiher können sich mit der A-1-Bescheinigung nicht davor schützen, dass im Falle illegaler Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitsvertrag mit dem Leiharbeitnehmer fingiert wird.
RA und FA Dr. Henning Hülbach, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht, Verweyen Lenz-Voß Boisserée Rechtsanwälte, Köln; RA Khayreddin Karboul, Verweyen Lenz-Voß Boisserée Rechtsanwälte, Köln
Redaktion (allg.)
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