Drohung mit Strafanzeige als Kündigungsgrund

Eine vom Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber erstattete Anzeige kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Sogar die bloße Drohung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, eine Strafanzeige zu erstatten, kann einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB bilden.

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. November 2004 - 10 Sa 1329/03 § 626 Abs. 1 BGB

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Bild: Stefan-Yang / stock.adobe.com
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Problempunkt

Stellt die bloße Drohung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, eine Strafanzeige erstatten zu wollen, einen wichtigen Grund dar, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt?

Entscheidung

Im vorliegenden Fall des LAG Rheinland-Pfalz war der Kläger als Filialleiter eines Geldinstituts beschäftigt und monierte Darlehensvergaben, welche nach seiner Auffassung gegen sämtliche bankinterne Vorgaben sowie bankübliche Bonitätsprüfungen erfolgten. Er konfrontierte die Innenrevisorin der Bank mit dem Sachverhalt und verlangte die Überprüfung des Kredits. Das zunächst in diesem Zusammenhang streitige Inaussichtstellen der Strafanzeige durch den Arbeitnehmer gegenüber der Innenrevisorin der Bank wurde im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme zu Lasten des Arbeitnehmers geklärt. Das LAG Rheinland-Pfalz bestätigte eine bereits durch das LAG Köln (Urt. v. 10.6.1994 - 13 Sa 237/94) in einem anderen Fall geäußerte Auffassung, dass die bloße Drohung eines Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, eine Strafanzeige zu erstatten, einen wichtigen Kündigungsgrund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB bilden kann.

Gleichwohl gab das Landesarbeitsgericht der Kündigungsschutzklage des Filialleiters statt. Ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB setze nach der gesetzlichen Definition voraus, dass Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Diese Zumutbarkeitsprüfung müsse sich auf alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umständen des Einzelfalls erstrecken und diese vollständig und widerspruchsfrei gegeneinander abwägen. Im Rahmen dieser Überprüfung konnte das Gericht eine arbeitgeberseitige Unzumutbarkeit an der Weiterbeschäftigung des Filialleiters nicht feststellen. Tarifvertraglich war dieser nicht mehr ordentlich kündbar. Auch wenn das Vertrauensverhältnis durch die Drohung tangiert und wohl auch beeinträchtigt worden sei, überwogen die Argumente für den klagenden Mitarbeiter. Denn im konkreten Fall wurde der Ausspruch der Drohung als Versuch des Klägers ausgelegt, mit Nachdruck vor einem absehbar notleidenden Kredit zu warnen.

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Konsequenzen

Nur augenscheinlich ist der ungeschriebene Katalog der wichtigen Gründe des § 626 Abs. 1 BGB um die Drohung mit einer Strafanzeige erweitert worden. Die Entscheidung verdeutlicht vielmehr, welche Umstände des Einzellfalls oft in kleinsten Nuancen einen Rechtsstreit entscheiden können. Dass die Prognose des Ausgangs einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit dadurch nicht einfacher wird, liegt auf der Hand. Angesichts der für den Arbeitnehmer einschneidenden Folgen einer außerordentlichen Kündigung sollte der Arbeitgeber vorsorglich davon ausgehen, dass seine Entscheidung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Frist nahezu immer gerichtlich überprüft wird. Der Arbeitnehmer muss ab dem Zugang der außerordentlichen Kündigung seine Arbeitsleistung nicht mehr anbieten. Damit setzt das Annahmeverzugslohnrisiko unverzüglich ein. Deshalb sollte der Arbeitgeber den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung auch im eigenen Interesse wirklich nur als letztes Mittel in Erwägung ziehen und damit dem Prinzip der ultima ratio Rechnung tragen.

Praxistipp

Vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung sind zur Vermeidung der wirtschaftlich oft katastrophalen Folgen für den Arbeitgeber die Erfolgsaussichten realistisch zu überprüfen. Zunächst ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls überhaupt geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Erst im Anschluss an das positive Ergebnis ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzellfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, ob es also dem kündigenden Arbeitgeber unzumutbar geworden ist, das Arbeitverhältnis bis zu dem gem. § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen. Folgende Gesichtspunkte sollten berücksichtigt werden: Neben Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers und wirtschaftlicher Lage des Unternehmens sind als vertragsbezogene Interessen u.a. das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragsverletzung des Arbeitnehmers sowie eine mögliche Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Neben diesen Anforderungen hat die Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen zu erfolgen, unter Beteiligung eines bestehenden Betriebsrats. Die alltägliche Praxis zeigt, dass insbesondere vor dem Hintergrund der kurzen Frist die eigentliche Prüfung der Kündigung leidet. Andererseits - und hierauf kann nicht oft genug hingewiesen werden - wird die Kündigung nicht wirksamer, weil innerhalb weniger Stunden nach Bekanntwerden der die Kündigung begründen Tatsachen das Arbeitsverhältnis beendet wird. Um dem Prinzip der ultima ratio zu genügen, sollten in jedem Fall auch Handlungsvarianten überprüft werden.

RA Thomas Klaes, Köln

Redaktion (allg.)

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