Arbeitsvertragskontrolle durch Sachverständigen

1. Es zählt zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, die in Formulararbeitsverträgen enthaltenen Bestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Nachweisgesetzes sowie mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu überwachen.

 

2. Das Überwachungsrecht umfasst keine Zweckmäßigkeitskontrolle, sondern nur eine Rechtskontrolle der in den Formulararbeitsverträgen enthaltenen Vertragsklauseln.

 

3. Der Betriebsrat muss vor der Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG alle ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nutzen, um sich das notwendige Wissen anzueignen. Die Beauftragung eines Sachverständigen ist daher nicht erforderlich, wenn sich der Betriebsrat nicht zuvor bei dem Arbeitgeber um die Klärung der offenen Fragen bemüht hat.

BAG, Beschluss vom 16. November 2005 - 7 ABR 12/05 § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BetrVG

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Bei der Arbeitgeberin werden Arbeitsvertragsmuster für neu einzustellende Mitarbeiter verwendet. Im Dezember 2002 wandte sich der Betriebsrat an das Unternehmen und bat um Zustimmung zur Hinzuziehung des Rechtsanwaltes M als Sachverständigen bei Zusage einer Vergütung von 230 Euro pro Stunde. Dieser sollte die verwendeten Formulararbeitsverträge auf ihre Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen (NachweisG und §§ 305c ff. BGB) und Tarifverträgen überprüfen. Als die Arbeitgeberin ablehnte, leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren ein. Während des Beschwerdeverfahrens übergab das Unternehmen der Arbeitnehmervertretung zwei neue Musterarbeitsvertragsformulare, die seit September 2004 verwandt werden. Deren Inhalte stellte es im Oktober 2004 gegenüber dem Betriebsrat dar. Dessen Antrag hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Entscheidung

Das BAG sah den Antrag zwar als zulässig und hinreichend bestimmt an. Ihm lag insbesondere eine ordnungsgemäße Beschlussfassung durch den Betriebsrat zugrunde. Ebenso war für die Arbeitgeberin erkennbar, wozu sie verpflichtet werden sollte. Ein auf Ersetzung der Zustimmung zur Beauftragung eines Sachverständigen gerichteter Antrag muss Angaben zu dem Thema enthalten, zu dessen Klärung der Sachverständige hinzugezogen werden soll und die Person des Sachverständigen bezeichnen. Besteht Streit über die Höhe der Vergütung, muss diese gleichfalls im Antrag aufgenommen werden; allerdings ist die Angabe einer Stundenvergütung ausreichend, eine betragsmäßige Obergrenze ist nicht erforderlich. Der Antrag war aber unbegründet, weil nach § 80 Abs. 3 BetrVG kein Anspruch auf Hinzuziehung des Sachverständigen bestand. Die Kontrolle der in Formulararbeitsverträgen enthaltenen Bestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Vorgaben zählt zu den Aufgaben des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Hiernach darf nur eine Rechtskontrolle der vom Arbeitgeber verwandten Vertragsklauseln stattfinden. Der Betriebsrat ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (BAG v. 9.12.2003 - 1 ABR 44/02). Eine Zweckmäßigkeitskontrolle und die Entwicklung von alternativen Vertragsinhalten deckt sein Beteiligungsrecht jedoch nicht. Es fehlte vorliegend an der Erforderlichkeit: Regelmäßig kann ohne besonderen juristischen Sachverstand durch einen Abgleich des Vertragsinhalts mit den Katalogtatbeständen des § 2 Abs. 1 Satz 2 NachwG dessen Einhaltung beurteilt werden. Hinsichtlich der sich durch die Neufassung der §§ 305c - 310 BGB ergebenden Auswirkungen auf die Vertragsklauseln in den Formulararbeitsverträgen war die Hinzuziehung des Sachverständigen nicht erforderlich, weil der Betriebsrat noch nicht sämtliche ihm zur Verfügung stehenden innerbetrieblichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft hatte. Diese sind: Eigene Kenntnisse, Auswerten der zugänglichen Fachliteratur, Wissen aufgrund von Einzelauskünften (z.B. der Gewerkschaft), in Schulungsveranstaltungen vermitteltes Wissen, Erlangen der notwendigen Kenntnisse mit Hilfe sachkundiger Arbeitnehmer (§ 80 Abs. 2 Satz 3 BetrVG) und insbesondere ein Rückgriff auf Informationen durch den Arbeitgeber. Der Betriebsrat ist gehalten, die angebotenen Möglichkeiten zur Unterrichtung durch Fachkräfte des Betriebs oder Unternehmens zu nutzen (BAG v. 26.2.1992 - 7 ABR 51/9). Ohne Darlegung besonderer Umstände durfte der Betriebsrat die angebotene Informationsvermittlung durch Mitarbeiter der Arbeitgeberin nicht ablehnen. Dass diese sich zuvor mit der Ausarbeitung der Formulararbeitsverträge befasst hatte, schließt es nicht aus, dass sie den Inhalt der Vertragsklauseln dem Betriebsrat gegenüber in einer adäquaten und ausreichenden Weise darstellt. Selbst wenn die Unterrichtung durch die Arbeitgeberin im Oktober 2004 unzureichend war, war der Betriebsrat verpflichtet, von sich aus von ihr weiterreichende Informationen einzufordern.

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Konsequenzen

Die Entscheidung hat erhebliche Praxisrelevanz. Die aktuellen arbeitsrechtlichen Großbaustellen „AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen“ und „Antidiskriminierung/Gleichbehandlung“ wecken den Bedarf nach eigenen Sachverständigen auf Betriebsratsseite. Hier greift die Entscheidung, welche einer kostengünstigen, internen Klärung den klaren Vorrang vor einer teureren, externen gibt. Letztere kann nur dann zum Tragen kommen, wenn der Arbeitgeber „mauert“, sich unredlich verhält oder selbst keine Informationen hat (vgl. Hunold, AuA 6/06, S. 335). Von allgemeiner Bedeutung sind auch die Ausführungen zur materiellen Prüfung der Klauseln. Danach gilt folgende Reihenfolge: zuerst die Rechtsprechung des BAG, dann die Rechtsprechung der Instanzgerichte und zuletzt das arbeitsrechtliche Schrifttum.

Praxistipp

Der Betriebsrat muss zunächst seine eigenen Erkenntnisquellen ausschöpfen, daran anknüpfend aus eigener Initiative die seines Arbeitgebers. Erst danach käme eine erfolgreiche Zuziehung eines Sachverständigen in Betracht.

RA Volker Stück, Stuttgart

Redaktion (allg.)

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