Annahmeverzug bei rückwirkend begründetem Arbeitsverhältnis

1. Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs (§§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB) setzt ein erfüllbares, d. h. tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Ein rückwirkend begründetes Arbeitsverhältnis genügt dem für die Vergangenheit nicht.

2. Der Arbeitgeber ist verantwortlich i. S. v. § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB, wenn er den Umstand, der zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung geführt hat, allein oder weit überwiegend zu vertreten hat (§§ 276, 278 BGB).

BAG, Urteil vom 19. August 2015 – 5 AZR 975/13

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Bild: schemev / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die klagende Arbeitnehmerin war bis Ende 1986 bei der Beklagten beschäftigt. Zum 1.1.1987 ging das Arbeitsverhältnis auf die C-GmbH über. In diesem Zusammenhang garantierte man der Klägerin schriftlich ein Rückkehrrecht zur alten Arbeitgeberin. Als über das Vermögen der C-GmbH am 1.10.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, erhielt die Arbeitnehmerin zum 31.1.2010 die Kündigung. Sie machte daraufhin ihr Rückkehrrecht gegenüber der ursprünglichen Arbeitgeberin geltend. In einem Vorverfahren wurde diese dazu verurteilt, das Angebot der Arbeitnehmerin auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zum 1.2.2010 anzunehmen, da das Unternehmen dieses zunächst unter Berufung auf die Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 19.10.2005 – 7 AZR 32/05) abgelehnt hatte.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Beschäftigte die Zahlung von Annahmeverzugslohn seit dem 1.2.2010. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Entscheidung

Das BAG hat der dagegen gerichteten Revision des Arbeitgebers stattgegeben.

Ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs setzt nach den Erfurter Richtern ein tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Ein rückwirkend begründetes Arbeitsverhältnis ist für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht tatsächlich durchführbar.

Die Arbeitgeberin schuldete vorliegend die Vergütung auch nicht nach § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB, weil sie die Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung für die Vergangenheit nicht zu verantworten hatte. Sie befand sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum. Ihr war zudem kein Schuldvorwurf dahingehend zu machen, dass sie die Rechtsprechung des BAG unzutreffend bewertet hatte, da die Entscheidung aus 2005 einen vergleichbaren Sachverhalt beinhaltete und zu einem Nichtbestehen des Rückkehrrechts gekommen war.

 

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Konsequenzen

Das vorliegende Urteil kann im Ergebnis nicht überzeugen. So dürfte vor dem Hintergrund der Wertung des § 311a Abs. 1 BGB bereits zweifelhaft sein, dass ein tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis erforderlich ist, um eine rückwirkende Vergütung wegen Annahmeverzugs begründen zu können. Aus dieser gesetzlichen Wertung dürfte zu folgern sein, dass Arbeitsverhältnisse als Dauerschuldverhältnisse auch rückwirkend Rechte und Pflichten begründen können. Hinzu kommt, dass das Ergebnis der Entscheidung droht, einmal gegebene Wiedereinstellungszusagen grundsätzlich erheblich zu entwerten. Eine Rechtfertigung für den darin liegenden Eingriff in die Dispositionsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien ist jedoch nicht erkennbar.

Die Kritik an der Entscheidung des BAG muss umso deutlicher ausfallen, als dass das Gericht auch das Vertretenmüssen der Arbeitgeberin nach den §§ 326 Abs. 2 Satz 1, 276, 278 BGB mit einer nicht nachvollziehbaren Begründung abgelehnt hat. Zutreffend hat das Gericht noch festgestellt, dass das Unternehmen danach rückwirkende Vergütung aus Annahmeverzug schuldet, wenn es zumindest fahrlässig die Verweigerung der Annahme des Vertragsangebots der Mitarbeiterin zu vertreten hat. Folgerichtig hat der 5. Senat geprüft, ob der Rechtsirrtum der Arbeitgeberin vermeidbar war. Wiederum zutreffend hat er dargelegt, dass die Hürden an das Vorliegen eines unvermeidbaren Rechtsirrtums hoch anzulegen sind.

Dass das BAG nach diesem Maßstab zu einem entschuldigten Rechtsirrtum der Arbeitgeberin gekommen ist, ist indes nicht nachvollziehbar. Zur Begründung wird ausgeführt, dass das arbeitgeberseitig angeführte Judikat aus 2005 einen vergleichbaren Fall zum Gegenstand gehabt habe. Dies kann nicht überzeugen. Im gegenständlichen Fall waren zahlreiche Betriebsübergänge und Umstrukturierungen erfolgt, woraufhin Unternehmensteile wegfielen. Zudem war das Rückkehrrecht in einer Betriebsvereinbarung kollektiv vereinbart.

Es ist daher nicht ersichtlich, warum der Arbeitgeberin zugebilligt wird, das bezeichnete Urteil als für die vorliegende Fragestellung maßgeblich einschätzen zu können, ohne das Risiko eines Sorgfaltspflichtverletzung tragen zu müssen.

Unternehmen sind daher gut beraten, nach Erteilung einer Rückkehrzusage in einem sich anschließenden Streit über die wirksame Wiederbegründung eines Arbeitsverhältnisses das vorliegende Urteil nur mit Vorsicht heranzuziehen. Zur Minimierung von Zahlungsrisiken sollte man jedenfalls über den Abschluss eines Prozessarbeitsverhältnisses nachdenken.

Praxistipp

Im Rahmen umfangreicher Umstrukturierungen oder aufgrund anderer Anlässe ist es bei Betriebsübergängen nicht unüblich, Beschäftigten individualvertraglich oder kollektivrechtlich ein Rückkehrrecht zum alten Arbeitgeber einzuräumen. Aus dessen Sicht steht oftmals die Überlegung dahinter, dass von dem Rückkehrrecht aufgrund einer prognostizierten positiven Entwicklung des neuen Unternehmens kein Gebrauch gemacht werden wird.

Wird dennoch eine Rückkehroption ausgeübt, kann dies insbesondere nach einem sehr langen Zeitraum von Jahren oder gar Jahrzehnten zu erheblichen Schwierigkeiten beim ursprünglichen Arbeitgeber führen. Das Risiko einer solchen Rückkehr noch nach Jahrzehnten ist mit dem vorliegenden Urteil deutlich gewachsen. Eine Möglichkeit, dieses Risiko zu minimieren, wäre die Vereinbarung eines zeitlich begrenzten Rückkehrrechts.

RA und FA für Arbeitsrecht Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen, Direktor Kompetenz-Centrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg

Redaktion (allg.)

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