Wirksamkeit eines Abtretungsverbots

Ein in einer Betriebsvereinbarung geregeltes umfassendes Lohnabtretungs­verbot unterliegt keiner AGB-Kontrolle gem. §§ 305 ff. BGB und kann unabhängig von seiner normativen Wirksamkeit über eine formulararbeitsvertraglich vereinbarte Geltung dieser Betriebs­vereinbarung Bestandteil des Arbeitsvertrags werden.

LAG Niedersachsen, Urteil vom 16. Juni 2014 – 13 Sa 1327/13

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Abtretungsverbots. Der Arbeitnehmer hatte den pfändbaren Teil seines Lohns an seine Ehefrau abgetreten, die nun eine Forderung i. H. v 1.411,62 Euro gegenüber dem Arbeitgeber als Drittschuldner geltend macht.

Der Arbeitsvertrag nimmt u. a. Bezug auf die jeweils gültige Fassung der Betriebsvereinbarung „Arbeitsordnung“. Diese regelt wiederum den Ausschluss der Abtretungen von Lohn- und Gehaltsforderung an Dritte.

Entscheidung

Das LAG Niedersachsen wies die Klage ab. Die Klägerin hat danach keinen Anspruch aus abgetretenem Recht auf Zahlung pfändbarer Vergütung. Die Abtretung verstößt gegen das in § 7 der Arbeitsordnung geregelte umfassende Abtretungsverbot. Dies ist über die einzelvertraglich vereinbarte Geltung der Arbeitsordnung auch Bestandteil des Arbeitsverhältnisses geworden. Die Bezugnahmeklausel ist Vertragsbestandteil, sie ist weder überraschend noch ist sie wegen fehlender Intransparenz nach § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB i. V. m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Eine Verweisung auf die Vorschriften eines anderen Regelungswerks ist grundsätzlich zulässig und führt für sich genommen nicht zur Intransparenz, wenn sich für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume eröffnen.

Das in Bezug genommene Regelwerk selbst, insbesondere das in der Arbeitsordnung geregelte Abtretungsverbot, unterliegt nicht der Vertragskontrolle. Die Arbeitsordnung wurde als Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Auf eine solche findet gem. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB die AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB keine Anwendung.

Das Abtretungsverbot verstößt auch nicht gegen die guten Sitten gem. § 138 BGB. Eine in diesem Zusammenhang durchzuführende Abwägung fällt zu Gunsten des Arbeitgebers aus, der sich in diesem Zusammenhang auf sein schutzwürdiges Interesse an einer klaren, übersichtlichen und möglichst reibungsfreien Vertragsabwicklung in der Lohnbuchhaltung berufen kann. Großunternehmen werden durch Lohnabtretungen ganz erhebliche Risiken aufgebürdet. Sie müssen ohne gerichtliche Prüfung und ohne Erteilung eines vollstreckbaren Schuldtitels Forderungen einziehen. Unsicherheiten ergeben sich, wenn es um die Rangfolge zwischen Lohnabtretungen und -pfändungen geht. Sie erlangen besondere Schärfe, wenn der Verdacht von Rückdatierungen im Raum steht oder wenn Mehrfachabtretungen vorliegen. Zu den rechtlichen Risiken kommt der mit der Bearbeitung verbundene Zeit- und Kostenaufwand. Diesen Erwägungen steht das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber, frei über sein Vermögen verfügen zu können. Ihm wird durch ein Lohnabtretungsverbot eine wesentliche Grundlage seiner Kreditfähigkeit entzogen, was ihn in seiner Dispositionsfreiheit über sein Arbeitsentgelt einschränkt.

Im Ergebnis überwiegt das berechtigte Interesse des Mitarbeiters an der Befugnis, im Voraus über den pfändbaren Teil seiner Vergütung zu verfügen, jedenfalls nicht das berechtigte Inte­resse des Unternehmens an einem vertraglichen Verdienstabtretungsausschluss. Die Kreditwürdigkeit des Beschäftigten erleidet keine erheb­liche Einbuße. Ihm wird nicht die Verfügung über bereits erworbene Rechte genommen, sondern der Verdienstanspruch entsteht von Anfang an als nicht abtretbares Recht. Nach Erhalt der Vergütung kann der Arbeitnehmer uneingeschränkt über sie verfügen. Auch angesichts der Gefahr von Mehrfachabtretungen misst die Praxis der Kreditvergabe der Lohnabtretung als Sicherungsmittel nur eine eingeschränkte Bedeutung bei.

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Konsequenzen

Das LAG Niedersachsen liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BAG, die in der Vergangenheit ein Lohnabtretungsverbot in einer Betriebsvereinbarung grundsätzlich als wirksam angesehen hat (vgl. Urt. v. 20.12.1957 – 1 AZR 237/56, AP Nr. 1 zu § 399 BGB; v. 5.6.1960 – 1 AZR 509/57, AP Nr. 4 zu § 399 BGB). Allerdings handelt es sich dabei um ältere Entscheidungen; die Instanzgerichte lehnen in jüngeren Urteilen ein entsprechendes Lohnabtretungsverbot wegen eines Verstoßes gegen § 75 BetrVG teilweise ab (ArbG Hamburg, Urt. v. 31.8.2010 – 21 Ca 176/10).

Insofern ist eine Bestätigung bzw. Klarstellung dieser Frage durch das BAG für die arbeitsrechtliche Praxis wünschenswert. Gegen das Urteil des LAG Niedersachsen ist allerdings – soweit bekannt – keine Revision eingelegt worden, so dass nicht damit zu rechnen ist, dass eine abschließende höchstrichterlich Klärung in naher Zukunft erfolgen wird.

In der Sache selbst ist dem LAG Niedersachsen zumindest dahingehend zuzustimmen, dass eine Betriebsvereinbarung zumindest nicht der ABG-Kontrolle gem. §§ 305 ff. BGB unterliegt (so auch Görg, ArbRAktuell 2014, S. 442).

Praxistipp

Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Ab-schluss einer Betriebsvereinbarung die Möglichkeit eröffnet, darin in das Arbeitsverhältnis unmittelbar hineinwirkende Bereiche zu regeln, deren Bestimmungen – wenn sie in einem Arbeitsvertrag vereinbart würden – ggf. als AGB-rechtlich unwirksam qualifiziert werden können. Denkbar wäre, kritische Klauseln in einem Formulararbeitsvertrag in einer Betriebsvereinbarung vorzusehen. Dies gilt z. B. für einen Freiwilligkeits- oder einen Widerrufsvorbehalt (BAG, Urt. v. 1.2.2006 – 5 AZR 187/05, AuA 12/06, S. 751), die vom BAG einer ebenfalls strengen ABG-Kontrolle unterworfen werden. Das letztlich vom Arbeitgeber zu tragende Risiko der Unwirksamkeit entsprechender Regelungen lässt sich durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung erheblich verringern.

RA und FA für Arbeitsrecht Dr. Alexander Bissels, CMS Hasche Sigle, Köln; RA Gregor Haag, Bad Honnef

Redaktion (allg.)

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