Über- und Mehrarbeit von Teilzeitkräften

Eine nationale Regelung, die zur Folge hat, dass Teilzeitbeschäftigte für die gleiche Zahl von Arbeitsstunden schlechter vergütet werden als Vollzeitbeschäftigte, verstößt gegen den Grundsatz der Entgeltgleichheit in Art. 141 EG, wenn sie einen erheblich höheren Prozentsatz weiblicher als männlicher Beschäftigter betrifft und nicht sachlich gerechtfertigt ist.

(Leitsatz des Bearbeiters)

EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 - C-300/06 (Voß./.Land Berlin)

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Bild: Nirat.pix / stock.adobe.com
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Problempunkt

Im Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, vgl. hierzu auch Betz, AuA 4/08, S. 216) geht es um Beamtenbesoldung. Die Klägerin, Frau Voß, steht als Lehrerin im Beamtenverhältnis zum Land Berlin. Vom 15.7.1999 bis 29.5.2000 übte sie ihre Berufstätigkeit in Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 23 Unterrichtsstunden pro Woche aus. Das Unterrichtsdeputat eines vollzeitbeschäftigten Lehrers betrug damals 26,5 Stunden. Zwischen dem 11.1. und dem 23.5.2000 leistete Frau Voß in jedem Monat über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus zwischen vier und sechs Unterrichtsstunden Mehrarbeit. Die Vergütung, die sie hierfür erhielt, betrug 1.075,14 DM. Dagegen belief sich die Vergütung, die bei einem vollzeitbeschäftigten Lehrer auf die gleiche Zahl von Arbeitsstunden entfiel, zu dieser Zeit auf 1.616,15 DM.

Grundlage für die Entgeltberechnung ist das nationale Recht (Bund bzw. Land Berlin). Es definiert sowohl die von vollzeitbeschäftigten als auch von teilzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als Arbeit, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus leisten. Diese Mehrarbeit wird zu einem geringeren Satz vergütet als dem Stundensatz, der auf die innerhalb der individuellen Arbeitszeit geleistete Arbeit entfällt. Dadurch erhalten teilzeitbeschäftigte Beamte für die Arbeit, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zu der Stundenzahl leisten, die ein vollzeitbeschäftigter Beamter im Rahmen seiner Arbeitszeit erbringen muss, eine schlechtere Vergütung als vollzeitbeschäftigte Beamte.

Ob das mit Art. 141 EG-Vertrag (EG) in Einklang steht, hält das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), bei dem der Rechtsstreit in Deutschland anhängig ist, für fraglich. Deshalb hatte es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Entscheidung

Der EuGH stellte fest, dass die niedrigere Vergütung für Mehrarbeit eine Ungleichbehandlung zum Nachteil der teilzeitbeschäftigten Lehrer zur Folge hat, da bei ihnen für die Unterrichtsstunden, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zur Regelarbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigung leisten, ein niedrigerer Vergütungssatz zur Anwendung kommt. Diese Ungleichbehandlung betrifft möglicherweise erheblich mehr Frauen als Männer. Insoweit erinnerte der Gerichtshof daran, dass das vorlegende Gericht die Gesamtheit der Beschäftigten, für die die nationale Regelung gilt, bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hat. Sind tatsächlich erheblich mehr Frauen als Männer betroffen und ist dies nicht durch Faktoren sachlich gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, liegt ein Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Entgeltgleichheit vor.

Arbeitgeber sind oft verunsichert, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen. Das Buch gibt ein umfassenden Einblick ins Thema.

Konsequenzen

Der Fall, dass Über- bzw. Mehrarbeit schlechter vergütet wird als reguläre Arbeitszeit, dürfte eher selten sein. Davon abgesehen bringt das Urteil für Arbeitnehmer, speziell in der Privatwirtschaft, offenbar nichts Neues.

Demgegenüber wird von anwaltlicher Seite die Auffassung vertreten, als Konsequenz des EuGH-Urteils würden deutsche Arbeitsgerichte häufiger als bisher die AGG-Festigkeit der Vergütungspolitik aller Unternehmen - gerade bei der Teilzeitarbeit - unter die Lupe nehmen. Allen Unternehmen sei daher anzuraten, die Vergütung von Teilzeitkräften schleunigst anhand der Kriterien des EuGH zu prüfen und entsprechend zu reagieren. Dies gelte besonders, wenn der Anteil weiblicher Arbeitskräfte sehr hoch sei. Zu einem ähnlichen Fazit kommt Oberwinter im NJW-Editorial in Heft 52/2007.

Um festzustellen, ob hier in der Tat akuter Handlungsbedarf besteht, sind zunächst zwei Begriffe zu klären. Entgegen der nicht eindeutigen Wortwahl des EuGH sollte unter Überarbeit nur die Arbeitszeit verstanden werden, die ein einzelner Mitarbeiter über die mit ihm individuell vereinbarte Arbeitszeit hinaus leistet. Dagegen handelt es sich bei der Zeit, die er über die im Betrieb (etwa aufgrund Tarifvertrags) geltende reguläre („volle“) Arbeitszeit hinaus leistet, um Mehrarbeit.

So ist in einem Betrieb mit tariflicher 35-Stunden-Woche die 21. Stunde einer Teilzeitkraft mit 20 Wochenstunden Über-, aber keine Mehrarbeit. Es fällt kein Mehrarbeitszuschlag an, wenn der Tarifvertrag nicht etwas anderes besagt. Denn der Grundsatz der Entgeltgleichheit und das Diskriminierungsverbot zugunsten von Teilzeitkräften (§ 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz) führen dazu, dass - gleiche Tätigkeit vorausgesetzt - Voll- und Teilzeitkräfte für die 21. Stunde das gleiche Entgelt erhalten müssen, zuschlagsfrei. Die Gewährung eines Zuschlags für bloße Überarbeit wäre eine Benachteiligung von Vollzeitkräften und ggf. Männern.

Kritisch ist daher eine Regelung über die pauschale Abgeltung von Überarbeit von Teilzeitkräften, wenn dadurch im praktischen Ergebnis der Stundensatz unter 100% sinkt, weil das eine Benachteiligung gegenüber Vollzeitkräften (Männern!) darstellt, die für dieselbe Stunde 100% erhalten.

Im Grundsatz gilt das bereits seit mehr als zehn Jahren. Die Rechtsprechung hat es immer wieder bestätigt (s. nur EuGH, Urt. v. 15.12.1994 - C-399/92, NZA 1995, S. 218 sowie BAG, Urt. v. 20.6.1995 - 3 AZR 684/93, NZA 1996, S. 600 und Urt. v. 5.11.2003 - 5 AZR 8/03, NZA 2005, S. 222). Geändert hat sich daran nichts, auch nicht durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Erhält ein Teilzeitbeschäftigter die entsprechenden Zuschläge erst bei Mehrarbeit, d.h. wenn er aufgrund von Überstunden ebenfalls die (Vollzeit-)Regelarbeitszeit überschreitet, aber nicht vorher, fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung. Es liegt auch kein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz vor. Die Regelung ist sachlich gerechtfertigt, denn die Überstundenzuschläge sollen vor Überlastung schützen.

Praxistipp

Für Arbeitgeber, die sich mit einer Teilzeitkraft darauf verständigen wollen, dass sie bei Bedarf auch über die mit ihr individuell vereinbarte Regelarbeitszeit hinaus arbeitet, und die zugleich die Frage der Zuschläge klären möchten, empfiehlt sich folgende Absprache:

Muster – Arbeitszeit

Die Mitarbeiterin arbeitet von Montag bis Freitag jeweils 4 Stunden, möglichst von 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr. Sie erklärt sich bereit, im Bedarfsfall darüber hinaus nach Absprache auch länger zur Verfügung zu stehen. Zuschlagspflichtige Mehrarbeit liegt in diesem Zusammenhang nur vor, wenn die normale volle Wochenarbeitszeit (zzt. 35 Stunden) überschritten wird.

Dr. Wolf Hunold, Unternehmensberater, Neuss

Redaktion (allg.)

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