Sturz anlässlich eines Firmenlaufs als Arbeitsunfall

1. Ein Sturz anlässlich eines Firmenlaufs (6 km Strecke), zu dem die Betriebsleitung die Belegschaft zum Laufen/Walken oder als Fan/Zuschauer aufgerufen hat, an dem sich ca. 15 % der Belegschaft beteiligen und an dem zwei Vorstandsmitglieder mitgelaufen sind, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung.

2. Es müssen nicht alle beschäftigten Mitarbeiter aufgrund ihrer konditionellen Fähigkeiten in der Lage sein, an der Veranstaltung teilzunehmen (a. A.: LSG Hessen, Urt. v. 18.3.2008 – L 3 U 123/05).

(Leitsatz des Bearbeiters)

SG Detmold, Urteil vom 19. März 2015 – S 1 U 99/14

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Klägerin ist als kaufmännische Angestellte bei der Firma F in N beschäftigt. Sie nahm in C bei einem Firmenlauf „B2Run“ teil, der um 19:30 Uhr startete und über eine Strecke von 6 km ging, für die sie 49 Minuten benötigte. Unternehmensführung, Marketing und das Gesundheitsmanagement (Personalabteilung) hatten zur Teilnahme an der Veranstaltung per Flyer aufgefordert, und zwar als Läufer/Walker oder auch als Fan. Zwei Vorstandsmitglieder nahmen ebenfalls teil und die Kosten der Veranstaltung übernahm F. An der Veranstaltung beteiligten sich insgesamt ca. 16 % der Belegschaft.

Nach dem Lauf auf dem Weg zum Bus stolperte die Klägerin über eine Bordsteinkante und stürzte. Dabei verletzte sie sich das Gesicht, beide Knie, den rechten Unterarm, Handgelenk und Hand. Der Durchgangsarzt diagnostizierte Prellungen, offene Wunden sowie eine Wundinfektion. Der Unfallversicherungsträger verweigerte die Anerkennung als Arbeitsunfall, da die Veranstaltung nicht die rechtlichen Anforderungen erfülle. Er meinte, es könne nicht unterstellt werden, dass alle Arbeitnehmer aufgrund ihrer konditionellen Fähigkeiten in der Lage seien, an einem solchen Laufwettbewerb teilzunehmen. Vielmehr sei ein Teil der Beschäftigten wegen gesundheits- und altersbedingter Einschränkungen von vornherein nicht in der Lage gewesen, an einem Firmenlauf teilzunehmen. Angesprochen von der Veranstaltung werde nur ein Teil der Belegschaft, von daher habe nicht der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund gestanden. Außerdem sei die erforderliche Mindestbeteiligungsquote von 20 % der Belegschaft nicht erfüllt worden. Der Firmenlauf habe auch als rein sportliche Veranstaltung nicht den Gemeinschaftsgedanken in dem Unternehmen fördern können.

Entscheidung

Nach dem Urteil des SG Detmold hatte der beklagte Unfallversicherungsträger die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall i. S. d. § 8 SGB VII zu Unrecht abgelehnt. Als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen sind sportliche Betätigungen mit spielerischem Charakter versichert, wenn sie der Förderung des Gemeinsinns oder des Zusammengehörigkeitsgefühls aller Beschäftigten und nicht allein dem persönlichen Interesse des Betroffenen dienen. Nach der Rechtsprechung kann bereits keine feste Mindestbeteiligungsquote von 20 % als starre Grenze gefordert werden (BSG, Urt. v. 7.12.2004 – B 2 U 47/03 R, NZS 2005, S. 65: betriebl. Fußballturnier). Entscheidend sind vielmehr die konkreten Verhältnisse im Einzelfall im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung.

Eine Beteiligungsquote von 16 % war vorliegend ausreichend. Jedenfalls musste der Versicherungsschutz aus Vertrauensschutzgesichtspunkten bejaht werden, da die Quote zum Zeitpunkt der Anmeldung der Klägerin noch nicht feststand und die Veranstaltung nicht mit besonderen Gefahren verbunden war (wie bei einer Mountain-Bike-Tour). Der Firmenlauf war auch geeignet, zur Förderung des Gemeinschaftsgedankens beizutragen. Die Veranstaltung sollte ausdrücklich der Teambildung und der Unternehmensidentifikation dienen. Sie war von ihrem Programm her geeignet, die Gesamtheit der Belegschaft und nicht nur einen begrenzten Teil anzusprechen. Im Flyer wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, die Streckenlänge von 6,0 km sei für jeden machbar, auch für Laufeinsteiger oder Nordic-Walker. Ein sportlicher Wettkampf stand nicht im Vordergrund. Vielmehr handelte es sich beim B2Run um eine sportliche Betätigung mit spielerischem Charakter, die hauptsächlich der Förderung des Gemeinschaftssinns und des Zusammengehörigkeitsgefühls der Beschäftigten diente. Schließlich kam es auch nicht darauf an, ob alle Mitarbeiter in der Lage gewesen wären, an dem Lauf teilzunehmen (so LSG Hessen, Urt. v. 18.3.2008 – L 3 U 123/05). Denn in jedem Unternehmen gibt es (geh-)behinderte Arbeitnehmer, die nicht in der Lage sind, auch nur wenige Meter zu gehen. Jeder Betriebsausflug, bei dem auch nur ein kleiner Spaziergang zum Programm gehört, stünde dann nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Außerdem bestand die Möglichkeit für interessierte Beschäftigte, mit sog. Fan-Tickets an der Veranstaltung teilzunehmen, ohne sich am Lauf selbst zu beteiligen.

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Konsequenzen

Beteiligungen von Firmen an Laufveranstaltungen gehören in vielen Unternehmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement. Bei derartigen Veranstaltungen ist zu unterscheiden:

Bei einer Strecke von 6 km und einem Lauf mit „Jedermann- und Happening-Charakter“ steht kein sportlicher Wettkampfzweck im Vordergrund, so dass eine versicherte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung vorliegen kann (Bsp.: B2Run, JP Morgan Corporate-Challenge).

Bei einem echten (Halb-)Marathon wird hingegen eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung ausscheiden, da der sportliche Wettkampf im Vordergrund steht und die Beteiligungsquote regelmäßig deutlich geringer ist.

Das BSG hat eine Teilnahme von 3 von 150 Betriebsangehörigen als eindeutiges Missverhältnis bezeichnet, bei einer Beteiligungsquote von 26,5 bzw. 40 % hatte es keine Bedenken gegen eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung. Eine feste Mindestbeteiligungsquote ist keiner der Entscheidungen des BSG zu entnehmen, so dass es stets auf den Einzelfall ankommt.

Praxistipp

Derartige Veranstaltungen müssen allen Beschäftigten offenstehen und von der Unternehmensleitung selbst veranstaltet werden. Deren Anwesenheit während der gesamten Veranstaltung ist nicht erforderlich, grundsätzlich muss die Unternehmensleitung oder Teile von ihr aber an der Veranstaltung teilnehmen. Der vordergründige Anschein eines Wettkampfcharakters ist – auch in der Kommunikation – zu vermeiden.

RA Volker Stück, Aschaffenburg

Redaktion (allg.)

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