Sonderkündigungsverfahren für Schwerbehinderte

1. Die Einholung der Stellungnahme des Arbeitsamtes im Verfahren über den Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz kann von der Hauptfürsorgestelle im Widerspruchsverfahren mit heilender Wirkung nachgeholt werden.


2. Die Hauptfürsorgestelle kann, wenn die vom Arbeitsamt angeforderte Stellungnahme innerhalb gesetzter oder angemessener Frist nicht eingeht, auch ohne sie über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten entscheiden.

BVerwG, Urteil vom 11. November 1999 - 5 C 23/99 §§ 5, 17 Abs. 2 Satz 1 SchwbG i. d. F. von 1996; §§ 20, 41 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 SGB X; § 1 Abs. 3 KSchG

1106
Bild: Kzenon/stock.adobe.com
Bild: Kzenon/stock.adobe.com

Problempunkt

Dem schwerbehinderten Kläger war von seinem Arbeitgeber gekündigt worden. Der Arbeitgeber hatte die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle des Beklagten hierzu eingeholt. Diese wiederum hatte gemäß § 17 Abs. 2 SchwbG die Stellungnahme des örtlichen Arbeitsamtes, nicht aber die Stellungnahme des für den Wohnsitz des Klägers zuständigen Arbeitsamtes eingeholt. Der Kläger legte gegen die Zustimmung Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren forderte der Beklagte auch von dem Wohnsitzarbeitsamt eine Stellungnahme ein, die aber ausblieb. Dem Widerspruch wurde nicht abgeholfen.

Gegen die erteilte Zustimmung durch die Hauptfürsorgestelle ging der Kläger vor das Verwaltungsgericht, wo er Recht bekam. Berufung und Revision gingen indes zu seinen Ungunsten aus.

Entscheidung

Der (stark verkürzt wiedergegebene) Sachverhalt wirft zwei Fragen auf: 1. Kann eine unterbliebene Beteiligung des Wohnsitzarbeitsamtes nach § 17 Abs. 2 SchwbG noch im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden? 2. Durfte sich die Hauptfürsorgestelle mit dem Ausbleiben der Stellungnahme zufrieden geben (also ohne eine solche Stellungnahme entscheiden)?

Zunächst zur ersten Frage: Sind für den Sitz des Betriebes und den Wohnsitz des Arbeitnehmers unterschiedliche Arbeitsämter zuständig, so hat die Hauptfürsorgestelle von beiden eine Stellungnahme einzuholen. Die unterbliebene Einholung kann nach einhelliger Ansicht noch im Widerspruchsverfahren nachgeholt und der Verfahrensfehler damit geheilt werden. Dies folgt aus § 41 Abs. 1 Nr. 5 SGB X, der die Heilung ausdrücklich vorschreibt. Eine abweichende Regelung i. S. von § 37 Satz 1 SGB I liegt nicht vor. Außerdem erhält die Ermessensentscheidung der Hauptfürsorgestelle erst durch den Widerspruchsbescheid ihre endgültige Form, so dass es ausreichend ist, wenn die Verfahrensmängel bis dahin behoben sind.

Bezüglich der zweiten Frage sieht das BVerwG auch keinen Verstoß gegen § 17 Abs. 2 SchwbG , wenn die Hauptfürsorgestelle das Arbeitsamt zwar beteiligt, dann aber trotz ausgebliebener Stellungnahme entschieden hat. Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss dem Arbeitsamt Gelegenheit zur Stellungnahme geben werden. Bleibt eine solche aus, braucht die Hauptfürsorgestelle keine weiteren Ermittlungen anzustellen oder das Arbeitsamt zur Abgabe zu drängen.

Die Regelung im § 17 Abs. 2 SchwbG will sicherstellen, dass die Hauptfürsorgestelle ausreichend Informationen als Grundlage für ihre Ermessensentscheidung erhält. Dabei steht sie unter dem zeitlichen Druck des § 18 Abs. 1 SchwbG (1 Monat). Angesichts dessen (und der fehlenden Möglichkeit, das Arbeitsamt zu einer fristgerechten Abgabe der Stellungnahme zu zwingen) liegt es daher im pflichtgemäßen Ermessen der Hauptfürsorgestelle, ob sie bei Ausbleiben der Stellungnahme weitere Ermittlungen anstellt oder ob ihr die bestehende Tatsachengrundlage für die Entscheidung ausreicht.

Im vorliegenden Fall erachtete das BVerwG weitere Ermittlungen für nicht erforderlich. Die Hauptfürsorgestelle habe davon ausgehen können, dass das zweite Arbeitsamt keine weiteren entscheidungsrelevanten Tatsachen gegenüber denen, die in der Stellungnahme des ersten Arbeitsamtes enthalten waren, beisteuern konnte oder wollte. Es konnte daher seine Entscheidung - jedenfalls im Hinblick auf die Informationen des Arbeitsamtes- auf die eine vorhandene Stellungnahme stützen.

In dieser Broschüre sind alle zentralen aushangpflichtigen Gesetze sowie eine Auswahl weiterer wichtiger Vorschriften in ihrer jeweils aktuellen Fassung zusammengestellt.
Als Aushangpflichtiger sind Sie damit auf der sicheren Seite!

Konsequenzen

NULL

Praxistipp

Die fehlende Einholung einer arbeitsamtlichen Stellungnahme gemäß § 17 Abs. 2 SchwbG kann im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden. Dabei ist es nicht zwingend erforderlich, dass eine solche Stellungnahme auch tatsächlich vom aufgeforderten Arbeitsamt abgegeben wird. Die Hauptfürsorgestelle kann (im Rahmen des Amtsermittlungsprinzips) ihre Entscheidung auch auf andere Erkenntnisse stützen.

RiLG Dr. Jens Peglau, Herdecke/Berlin

Redaktion (allg.)

· Artikel im Heft ·

Sonderkündigungsverfahren für Schwerbehinderte
Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Anwendbarkeit und Ausnahmen

Arbeitnehmer können sich auf den Sonderkündigungsschutz berufen, wenn der für die

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Die Klägerin – zuletzt als Hilfspolizistin im öffentlichen Dienst tätig und einem schwerbehinderten Menschen

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Verhältnis zu Strafrecht und Rechtsstaatsprinzip

Straftaten und ähnlich schwere Verfehlungen eines Arbeitnehmers zulasten des

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Die Klägerin ist 47 Jahre alt, ledig und schwerbehindert mit einem GdB von 60. Seit dem 1.8.2006 ist sie bei der

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Der Arbeitgeber und die Schwerbehindertenvertretung (SBV) streiten in einem Betrieb mit gut 700 Beschäftigten um den

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Der Kläger begehrt eine Entschädigung nach dem AGG. Er war bei dem Beklagten als Hausmeister beschäftigt. Seine Tätigkeit