Nur eingeschränkte gerichtliche Abmahnungsprüfungsprüfung

1. Die Abmahnung unterliegt nicht einer Verhältnismäßigkeitskontrolle. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist im Rahmen der gerichtlichen Abmahnungskontrolle nur insoweit von Bedeutung, als Form und Umstände der Abmahnung gemeint sein, nicht die Frage, ob die Abmahnung als solche eine Überreaktion darstellt.

 

2. Für den Gleichbehandlungsgrundsatz ist im Abmahnungsrecht kein Raum.

(Leitsätze des Bearbeiters)

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29. November 2005 - 2 Sa 350/05 § 314 BGB

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Problempunkt

Der Kläger ist bei der beklagten Druckerei seit 1985 als Maschinenführer beschäftigt. Eine im Jahr 2003 ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung wandelte die Beklagte im Rahmen eines Prozessvergleichs in eine Abmahnung um. Gleichzeitig verpflichtete sie sich, diese mit Ablauf des Jahres 2004 aus der Personalakte zu entfernen, wenn dem Kläger während dieses Zeitraums keine weitere Abmahnung erteilt wird. Am 23.2.2005 waren der Arbeitnehmer und zwei seiner Kolleginnen mit dem Falzen eines hochwertigen Kunstkatalogs beauftragt. In der Buchbinderei wurden Farbablagerungen auf den Falzbögen festgestellt. Nach Auffassung der Beklagten hätte sich die Fehlproduktion vermeiden lassen, wenn die mit der Aufgabe betrauten Mitarbeiter fachgerechte Kontrollen durchgeführt und den Falzvorgang rechtzeitig gestoppt hätten. Sie sprach wegen dieses Vorfalls gegenüber dem Kläger eine Abmahnung und gegenüber den beiden Kolleginnen, deren Arbeitsverhältnis bislang unbelastet war, jeweils eine Ermahnung aus. Der Maschinenführer klagte auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte. Er bestritt, dass die Farbablagerungen bei einer Kontrolle erkennbar gewesen seien. Gehe man aber von einem Sorgfaltsverstoß aus, so hätten auch die anderen Mitarbeiterinnen abgemahnt werden müssen. Da die Abmahnung aus dem Jahr 2003 bereits aus der Personalakte entfernt worden sei, hätte die Beklagte diese nicht mehr berücksichtigen dürfen. Die Klage hatte vor dem ArbG wie auch vor dem LAG keinen Erfolg.

Entscheidung

Die Beklagte hat den Kläger zu Recht abgemahnt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand fest, dass die Kataloge deutlich erkennbare Mängel aufwiesen. Der Kläger hätte als Fachkraft die Farbmarkierungen erkennen und sofort einschreiten müssen. Das Auftreten solcher Mängel war auch nicht ungewöhnlich, so dass der Mitarbeiter damit hätte rechnen und besonders darauf achten müssen, zumal es sich bei dem Kunstkatalog um ein sehr hochwertiges Produkt handelte. Die Abmahnung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie unverhältnismäßig ist oder gegen den Gleichheitssatz verstößt. Abmahnungen unterliegen nur in eingeschränktem Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Es wird nicht geprüft, ob die Abmahnung als solche verhältnismäßig ist oder eine Überreaktion darstellt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet nur im Hinblick auf Form und Umstände Anwendung. Auch für den Gleichbehandlungsgrundsatz ist im Abmahnungsrecht kein Raum (LAG Köln v. 12.05.1995 - 13 Sa 137/95, NZA-RR 1996, S. 204). Nach diesen Grundsätzen kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob der Sorgfaltsverstoß des Klägers so schwer wiegt, dass er eine Abmahnung rechtfertigt. Diese ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte sie nur gegenüber dem „vorbelasteten“ Kläger und nicht gegenüber seinen „unbelasteten“ Kolleginnen ausgesprochen hat. Die Entfernung der früheren Abmahnung aus seiner Personalakte bedeutet nur, dass die Beklagte kündigungsrechtlich das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger als unbelastet ansehen wollte. Hieraus folgt aber nicht, dass das gesamte Arbeitsverhältnis wieder „auf null gesetzt werden soll“.

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Konsequenzen

Einer Kündigung, die auf einem steuerbaren Verhalten beruht, muss in der Regel mindestens eine einschlägige, erfolglose Abmahnung vorausgehen (§ 314 BGB). Diese kann der Arbeitnehmer gerichtlich prüfen lassen, wobei das Gericht nach dieser Entscheidung keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen darf, d.h. nicht beurteilen darf, ob die Abmahnung sachlich billig oder interessengerecht ist, was jedoch im Einzelnen nicht unumstritten ist (vgl. ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rdnr. 50). Voraussetzung ist aber in jedem Fall ein objektiv gegebener Pflichtenverstoß, der nicht zwingend ein vorwerfbares Verschulden voraussetzt, denn die Abmahnung hat keinen Strafcharakter, sondern soll den Arbeitnehmer vor weiterem vertragswidrigem Verhalten warnen (LAG Mainz v. 2.12.2005 - 8 Sa 649/05; BAG v. 12.1.1988 - 1 AZR 219/86, NZA 1988, S. 474). Die Ausführungen zum Gleichbehandlungsgrundsatz sollte die Praxis nicht missverstehen: Ausschlaggebend war vorliegend, dass es sich beim Kläger - im Gegensatz zu den beiden Mitarbeitern - quasi um einen „Wiederholungstäter“ handelt, so dass ein sachlicher Grund für eine Differenzierung vorlag. Die Beklagte hatte sich auf ein solch abgestuftes Sanktionssystem auch berufen.

Praxistipp

Zu beachten ist, dass die Aussprache einer Abmahnung das Kündigungsrecht wegen dieses Vorfalles verbraucht. Aus personalpolitischen wie rechtlichen Gründen ist der Arbeitgeber gut beraten, auch im Abmahnungsbereich gleiches Fehlverhalten vergleichbar zu sanktionieren. Beruft er sich auf ein eingeführtes und angewendetes abgestuftes Sanktionssystem (erster Verstoß = Ermahnung; zweiter Verstoß = Abmahnung), kann damit eine Selbstbindung einhergehen.

RA Volker Stück, Stuttgart

Redaktion (allg.)

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