Mitbestimmung bei Arbeitszeiterhöhung Teilzeitbeschäftigter

Die zur Abdeckung eines betrieblichen Mehrbedarfs mit einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer vereinbarte befristete Erhöhung der Arbeitszeit ist regelmäßig eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtige Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit.

BAG, Beschluss vom 24. April 2007 – 1 ABR 47/06 § 87 Abs.1 Nr. 3 BetrVG

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Bild: schemev / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Arbeitgeberin betreibt ein Briefzentrum. Einmal jährlich stellt sie den Personalbedarf fest. Eine Anfang 2005 durchgeführte Neubemessung ergab für den Zustellbezirk 5 einen zusätzlichen Personalbedarf von fünf Wochenstunden. Der in der Briefeingangsverteilung mit 12,5 Stunden in Teilzeit beschäftigte G erklärte sich bereit, davon vier Stunden zu übernehmen. Grundlage hierfür war eine mit der Arbeitgeberin für die Dauer von einem Jahr vereinbarte Verlängerung seiner Arbeitszeit gegen entsprechende Mehrvergütung. Sie erfolgte ohne Zustimmung des Betriebsrats. Dieser sah in der Übertragung von zusätzlichen Leistungen an den teilzeitbeschäftigten G eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs.1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und verlangte von der Arbeitgeberin im Wege eines Beschlussverfahrens Unterlassung. Das Arbeitsgericht entsprach dem Antrag, das LAG wies ihn ab. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hatte Erfolg.

Entscheidung

Die Arbeitgeberin darf bei einem vorübergehenden Mehrbedarf nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats mit Teilzeitbeschäftigten eine befristete Verlängerung der Arbeitszeit vereinbaren. Bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit besteht ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Inhalt ist die Frage, ob zusätzlicher Arbeitsbedarf durch eine vorübergehende Erhöhung der regelmäßigen Arbeitszeit abgedeckt werden soll und welche Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen in welchem Umfang diese Arbeit leisten.

Welche Arbeitszeit betriebsüblich ist, kann nicht immer einheitlich beurteilt werden, sondern richtet sich nach den Vereinbarungen mit den einzelnen Arbeitnehmergruppen. So ist z.B. die verkürzte Arbeitszeit bei Teilzeitbeschäftigten betriebsüblich (BAG, Beschl. v. 16.7.1991 - 1 ABR 69/90, BB 1991,S. 2156). Die Änderung der betriebsüblichen Arbeitszeit ist „vorübergehend“, wenn sie für einen überschaubaren und nicht dauerhaften Zeitraum vom ansonsten maßgeblichen Zeitvolumen abweicht und eine anschließende Rückkehr beabsichtigt ist (BAG, Beschl. v. 1.7.2003 - 1 ABR 22/02, NZA 2003, S. 1209).

Darüber hinaus setzt § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG einen kollektiven Tatbestand voraus, d.h. die Frage, die zu regeln ist, muss die kollektiven Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berühren. Bei einem zusätzlichen Arbeitsbedarf ist dies die Frage, ob und in welchem Umfang die Mitarbeiter hierfür Überstunden leisten sollen. Sie stellt sich unabhängig von der Zahl der Arbeitnehmer, für die Mehrarbeit oder Überstunden angeordnet oder mit denen sie vereinbart werden.

Nach diesen Grundsätzen waren die Voraussetzungen von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erfüllt. Die Arbeitgeberin hatte durch die Übertragung „zusätzlicher Leistungen“ im Umfang von vier Wochenstunden die betriebsübliche Arbeitszeit des G verlängert. Diese Verlängerung war von vornherein auf die Dauer eines Jahrs befristet und damit vorübergehend. Auch der notwendige kollektive Bezug war gegeben, da es darum ging, ob und in was für einem Umfang die Arbeitgeberin welchem Mitarbeiter die anfallende Mehrarbeit überträgt.

Schließlich stand auch keine abschließende tarifvertragliche Regelung entgegen. Der Tarifvertrag ermöglichte lediglich die einzelvertragliche befristete Übernahme zusätzlicher Leistungen und enthielt Regelungen über das für die zusätzlichen Leistungen zu zahlende Arbeitsentgelt. Er regelte aber nicht, ob und wie das festgestellte Mehrarbeitsvolumen unter den Mitarbeitern zu verteilen ist.

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Konsequenzen

Für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die vorübergehende Veränderung der Arbeitszeitdauer einseitig vornimmt, mit den betroffenen Arbeitnehmern vereinbart oder freiwillig geleistete Überstunden bloß geduldet werden. Da sich in derartigen Fällen regelmäßig die Verteilungsfrage (wer soll in welchem Umfang länger arbeiten) stellt, ist ein kollektiver Bezug gegeben.

Praxistipp

Um ein Mitbestimmungsrecht kommt der Arbeitgeber bei Deckung von Arbeitsspitzen meist nicht herum: Entscheidet er sich für vorübergehende Mehrarbeit der vorhandenen Arbeitnehmer, muss der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zustimmen. Stellt er (befristet) neue Mitarbeiter oder Leiharbeiter ein, bedarf er der Zustimmung nach § 99 BetrVG. Alternative wäre der Abschluss von „echten“ Dienst-/Werkverträgen, wobei auch hier der Betriebsrat zu informieren ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1, 2. HS BetrVG) und ggf. Mitbestimmungsrechte nach § 99 BetrVG geltend macht (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.6.2006 - 5 TaBV 6/05, AuA 9/07, S. 568).

RA Volker Stück, Stuttgart

Redaktion (allg.)

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