Kündigungsschutz – Berechnung der sechsmonatigen Wartezeit

1. Für den Beginn der Wartezeit i.S.v. § 1 Abs.1 KSchG ist der Zeitpunkt maßgebend, von dem ab die Arbeitsvertragsparteien ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen. Im Regelfall wird dies der Zeitpunkt sein, in dem der Arbeitnehmer nach der vertraglichen Vereinbarung seine Arbeit aufnehmen soll.

2. Dieser Zeitpunkt ist dann nicht maßgebend, wenn der rechtliche Beginn des Arbeitsverhältnisses und der Termin der vereinbarten Arbeitsaufnahme nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auseinanderfallen. Dies ist anzunehmen, wenn sie sich darin einig sind, dass gleich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Zeitspanne liegen soll, in der der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit verpflichtet ist.

3. Für die Beurteilung der Frage, ob der erste Tag des Arbeitsverhältnisses zur Wartezeit zu zählen ist, ist der Wille der Vertragsparteien maßgebend. Mit der Nennung eines bestimmten Datums als des Tages, „ab dem“ ein Arbeitnehmer eingestellt wird, geben die Vertragsparteien regelmäßig zu verstehen, dass sie ihr Arbeitsverhältnis damit i.S.v. § 187 Abs.2 BGB in Kraft setzen wollen.

4. Die Wartezeit i.S.v. §1 Abs.1 KSchG endet auch dann nach Ablauf von sechs Monaten, wenn der letzte Tag auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt. §193 BGB ist auf die Berechnung der Wartezeit nicht anwendbar.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 2 AZR 1057/12

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Bild: Семен-Саливанчук / stock.adobe.com
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Problempunkt

Am 15.5.2010 schloss die Klägerin einen schriftlichen Arbeitsvertrag mit dem Beklagten, wonach sie „ab dem 15.5.2010“ als Krankenpflegerin eingestellt wurde. Auf Wunsch der Klägerin erfolgte die Arbeitsaufnahme erst am 26.5.2010. Die sozialversicherungsrechtliche Anmeldung nahm die Beklagte am 25.5.2010 rückwirkend zum 15.5.2010 vor.

Mit Schreiben vom Montag, dem 15.11.2010, welches der Klägerin am selben Tage zuging, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis der Parteien „innerhalb der Probezeit fristgemäß zum 30.11.2010“.

Die Beklagte war der Auffassung, die Wartezeit sei noch nicht abgelaufen gewesen, da als Beginn der Berechnung des sechsmonatigen Zeitraums der 26.5.2010 genommen werden müsse. Die Klägerin meinte, die Kündigung sei nach Ablauf der Wartezeit i.S.v. §1 Abs.1 KSchG erfolgt, und erhob fristgerecht Kündigungsschutzklage, die vor ArbG und LAG erfolgreich war.

Entscheidung

Das BAG bestätigte, dass die Wartezeit i.S.v. §1 Abs.1 KSchG im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 15.11.2010 erfüllt war. Der allgemeine Kündigungsschutz ist nicht an die tatsächliche Beschäftigung, sondern allein an den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses geknüpft (BAG, Urt.v. 20.8.1998– 2 AZR 83/98, NZA 1999, S.314). Eine Unterbrechung der Arbeit– etwa durch Krankheit, Schwangerschaft, Urlaub oder Arbeitskampf– hemmt den Lauf der sechsmonatigen Wartefrist nicht (KR/Griebeling, §1 KSchG Rdnr. 99).

Für den Beginn der Wartezeit ist der Zeitpunkt maßgebend, von dem ab die Arbeitsvertragsparteien ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen (BAG, Urt.v. 27.6.2002– 2 AZR 382/01, NZA 2003, S.377). Im Regelfall ist dies der Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer nach der vertraglichen Vereinbarung seine Arbeit aufnehmen soll (KR/Griebeling, §1 KSchG Rdnr. 100). Er ist dann nicht maßgebend, wenn der rechtliche Beginn des Arbeitsverhältnisses und der Termin der vereinbarten Arbeitsaufnahme nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auseinanderfallen. Dies ist anzunehmen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich darin einig sind, dass gleich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Zeitspanne liegen soll, in der der Mitarbeiter nicht zur Arbeit verpflichtet ist. Der Beginn der Wartefrist des §1 Abs.1 KSchG muss nicht zwingend mit dem Tag der tatsächlichen Arbeitsaufnahme zusammenfallen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Parteien den Beginn des Vertrags ausdrücklich im Vertragstext datumsmäßig aufgenommen haben. Vorliegend war dies mit dem 15.5.2010 der Fall.

Das BAG führt aus, dass bei der Berechnung der Wartezeit der 15.5.2010 als erster Tag mitzuzählen war und dass gem. § 188 Abs.2, 2. Alt. BGB die sechsmonatige Wartefrist mit Ablauf des 14.11.2010 endete. Dieser Tag war zwar ein Sonntag; §193 BGB hat aber für die Berechnung der Wartezeit nach §1 Abs.1 KSchG keine Bedeutung. §193 BGB schützt die Interessen desjenigen, der die Willenserklärung abzugeben hat. §1 Abs.1 KSchG dient dagegen dem Schutz des Beschäftigten, dessen zeitlicher Beginn keine Verschiebung zulässt. Der Arbeitnehmer soll nach einem Bestand des Arbeitsverhältnisses von sechs Monaten darauf vertrauen dürfen, dass dieses seitens des Unternehmens nur noch bei sozialer Rechtfertigung gekündigt werden kann. Die sechsmonatige Wartefrist endet damit auch an einem Sonntag, Feiertag oder Sonnabend.

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Konsequenzen

Die Vorschrift des §1 Abs.1 KSchG stellt auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses ab und nicht auf die tatsächliche Arbeitsleistung. Damit sind auch Unterbrechungen der Arbeit für den Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist irrelevant und hemmen deren Lauf nicht. Es kommt nicht darauf an, ob eine Zeit des Ausfalls der tatsächlichen Arbeitsleistung gleich zu Beginn oder erst im späteren Verlauf der Wartezeit eintritt.

Haben sich die Parteien– wie üblich – über die Arbeitsaufnahme an einem bestimmten Tag verständigt, ist dieser in die Berechnung der Wartezeit einzubeziehen, selbst wenn der Arbeitsvertrag erst nach Arbeitsbeginn unterzeichnet wird. Die sechsmonatige Wartezeit endet auch an einem Sonntag bzw. Feiertag!

Praxistipp

Die sechsmonatige Wartefrist des §1 Abs.1 KSchG beginnt mit der vertraglichen Begründung der gegenseitigen Dienstpflichten und -rechte. Eine vereinbarte mögliche spätere tatsächliche Arbeitsaufnahme ändert daran nichts.

Aus Arbeitgebersicht sollte man die Wartezeit stets ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt vorsorglich berechnen, falls innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit eine Kündigung ausgesprochen werden soll.

RA Volker Stück, Leiter Personal und Compliance Beauftragter Hochspannungsprodukte, ABB AG, Hanau

Redaktion (allg.)

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