Problempunkt
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch das Unternehmen bedarf nach § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Kündigt der Arbeitgeber ohne vorherige Zustimmung, verstößt er gegen dieses gesetzliche Verbot und die Kündigung ist nach § 134 BGB unheilbar nichtig. In der Praxis sorgen diese Grundsätze insbesondere dann für Diskussionsbedarf, wenn ein Betriebserwerber in die durch den Veräußerer bereits durch Personalabbau begonnene Betriebsänderung eintritt. Beantragt nämlich bereits der Veräußerer die Zustimmung durch das Integrationsamt und geht der Betrieb während des laufenden Verwaltungsverfahrens auf den Erwerber über, gehen nach § 613a BGB auch alle noch bestehenden Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber über. Der Betriebsveräußerer ist dann nicht mehr Arbeitgeber und auch nicht mehr kündigungsbefugt.
Das BAG hatte im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob die vom Insolvenzverwalter als Betriebsveräußerer vor Betriebsübergang beantragte und nach dem Betriebsübergang an ihn zugestellte Zustimmung auch für den Betriebserwerber gilt und dieser dem schwerbehinderten Arbeitnehmer wirksam kündigen konnte.
Entscheidung
as BAG stellte vorliegend – ebenso wie das LAG Hamm in der Vorinstanz – fest, dass nach § 85 SGB IX die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer dem kündigenden Arbeitgeber erteilt werden muss. Beantragt daher der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Zustimmung und wird ihm diese auch erteilt, kann sich der Betriebserwerber nicht auf die Zustimmung berufen, selbst wenn das Arbeitsverhältnis zwischen Antragstellung und Zustimmungserteilung nach § 613a BGB auf ihn übergegangen ist. Die Kündigung durch den Erwerber ist dann nach § 134 BGB i. V. m. § 85 SGB IX rechtsunwirksam.Das BAG ist der Auffassung, dass schon der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen des SGB IX für dieses Ergebnis spricht. Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX hat „der Arbeitgeber“ die Zustimmung beim zuständigen Integrationsamt zu beantragen. Außerdem ist die Zustimmung zur Kündigung auch „dem Arbeitgeber“ und dem schwerbehinderten Menschen zuzustellen. Hier hatte die kündigende Arbeitgeberin als Betriebserwerberin aber weder die Zustimmung zur Kündigung beantragt noch war ihr der Zustimmungsbescheid zugestellt worden.
Dem Erwerber sollen im Hinblick auf den Zustimmungsbescheid nach Auffassung des Gerichts auch nicht die Rechtsfolgen des § 613a BGB infolge des erfolgten Betriebsübergangs zugutekommen. Allein der Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt hat noch keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis zwischen schwerbehindertem Arbeitnehmer und Betriebsveräußerer. Er bewirkt nicht, dass das nach § 85 SGB IX eingeschränkte Kündigungsrecht bereits erweitert ist und eine solche Rechtsposition auf den Betriebserwerber übergehen kann. Aus § 613a Abs. 4 BGB ist ersichtlich, dass gerade das Kündigungsrecht durch den Betriebsübergang nicht zusätzlich erweitert werden soll. Für dieses Ergebnis spricht nach Auffassung der Erfurter Richter auch der Sinn und Zweck der sozialgesetzlichen Regelungen, da regelmäßig nur der Arbeitgeber weiß und dem Integrationsamt bereits mitgeteilt hat, aus welchen Gründen er einem Arbeitnehmer kündigen will. Aufgrund der Mitteilung dieser Gründe bekommt der antragstellende Arbeitgeber auch die Zustimmung. Dem Sinn und Zweck der Regelungen widerspricht es nach Ansicht des Gerichts jedoch, wenn anstelle des bisherigen Arbeitgebers ein in das Arbeitsverhältnis eintretender neuer, am Zustimmungserteilungsverfahren unbeteiligter Arbeitgeber ggf. aus Gründen kündigen dürfte, die dem Integrationsamt noch gar nicht vorgelegen haben.
Schließlich wird durch das Ergebnis auch nicht der Sinn und Zweck der Insolvenzordnung beeinträchtigt, die zur Rettung von Unternehmen diesen die Möglichkeit einräumen soll, sich von Schulden zu befreien und dem Erwerber einen Neustart zu ermöglichen sowie im Vorgriff auf ein Erwerberkonzept Personalabbaumaßnahmen in der Insolvenz durchzuführen.
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Konsequenzen
Diese Entscheidung des BAG verschafft Betriebserwerbern für die Zukunft zumindest Klarheit darüber, dass ein zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits laufendes Verfahren vor dem Integrationsamt nicht für und gegen sie gilt. Das Urteil stärkt dabei den Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte. Denn es steht nunmehr fest, dass auch bei einer Antragstellung vor Betriebsübergang der Betriebserwerber aktiv in das Verwaltungsverfahren nach §§ 85 ff. SGB IX eingreifen muss, um sicherzustellen, dass er Adressat der zu erteilenden Zustimmung wird und auch die Zustellung des Bescheids an ihn erfolgt.Nicht geäußert hat sich das BAG zu der Frage, ob sich ein Betriebserwerber jedenfalls in den Fällen auf die Zustimmung des Integrationsamtes berufen kann, in denen die Zustimmung zur Kündigung dem Insolvenzverwalter als Veräußerer bereits zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs erteilt worden ist. Blickt man auf die Begründung des Gerichts, insbesondere im Hinblick auf den Sinn und Zweck der sozialgesetzlichen Regelungen, sind auch für diese Fallkonstellationen erhebliche Zweifel am Übergang der behördlichen Zustimmung zur Kündigung auf den Betriebserwerber berechtigt.
Praxistipp
Ein Betriebserwerber muss zukünftig sicherstellen, dass das ursprünglich vom Veräußerer vor Betriebsübergang betriebene Antragsverfahren gem. §§ 85 SGB IX nach dem Betriebsübergang in seinem Namen weitergeführt wird. Der Erwerber kann dies dadurch erreichen, dass er dem Integrationsamt den Betriebsübergang anzeigt und er zusätzlich – ggf. auch unter Beifügung der Zustimmung des Betriebsveräußerers – darauf hinweist, dass das Verwaltungsverfahren mit formaler Änderung der Beteiligtenstellung fortzuführen ist (§§ 1, 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB X).
Hilfsweise könnte der Betriebserwerber nach dem Betriebsübergang auch selbst den Antrag beim Integrationsamt stellen, die Zustimmung zur Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers zu erteilen. Ein eigener Antrag hätte jedoch auch den Neubeginn des Verfahrens zur Folge und würde zu einem vermeidbaren Zeitverlust führen.
RA Dr. Sebastian Schulz, Allen & Overy LLP, Frankfurt am Main
Redaktion (allg.)
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