Krankheitsbedingte Kündigung als Diskriminierung Behinderter

1. Die Richtlinie 2000/78/EG ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Bestimmung, nach der ein Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag beenden kann, wenn der betroffene behinderte Arbeitnehmer krankheitsbedingt abwesend war, entgegensteht, wenn diese Fehlzeiten darauf zurückzuführen sind, dass der Arbeitgeber nicht gem. der Verpflichtung nach Art. 5 dieser Richtlinie angemessene Vorkehrungen zu treffen, die geeigneten Maßnahmen ergriffen hat.

2. Eine Krankheit, die den Arbeitnehmer hindert, voll am Berufsleben teilzunehmen, ist auch dann, wenn sie grundsätzlich heilbar ist, unter der Voraussetzung, dass die Einschränkung von langer Dauer ist, eine Behinderung i. S. d. Richtlinie 2000/78/EG.

3. Die Zulassung einer krankheitsbedingten Kündigung durch eine entsprechende Bestimmung muss ein rechtmäßiges Ziel verfolgen und nicht über das Erforderliche hinausgehen, um als Diskriminierung gerechtfertigt zu sein.

(Leitsätze der Bearbeiterin)

EuGH, Urteil vom 11. April 2013 – C-335/11 u. C-337/11

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Mehrere dänische Arbeitnehmerinnen, die nicht mehr in der Lage waren, in Vollzeit zu arbeiten, waren krankheitsbedingt von ihren Arbeitgebern gekündigt worden. Sie hielten dies für eine Diskriminierung wegen Behinderung, weil ihre Erkrankung - die Unfähigkeit in Vollzeit zu arbeiten und nur noch dauerhaft zur Teilzeit in der Lage zu sein - eine Behinderung darstelle. Die Beschäftigten behaupteten, ihnen sei wegen dieser Behinderung gekündigt worden und die Unternehmen hätten nicht die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, zu denen sie nach Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG verpflichtet gewesen seien. Sie hätten ihnen Teilzeitjobs anbieten müssen, statt Beendigungskündigungen auszusprechen. Die Arbeitgeber machten hingegen geltend, die dargestellte Krankheit sei keine Behinderung. Zudem könnte die in Dänemark gesetzlich erlaubte krankheitsbedingte Kündigung auch aufgrund von Krankheiten, die als Behinderung zu werten sind, keine verbotene Diskriminierung darstellen.

Entscheidung

Der EuGH erklärte zwar, dass nicht per se jede Erkrankung eine Behinderung darstellt. Jedoch könnten Krankheiten als Behinderungen einzustufen sein, wenn sie von langer Dauer sind und die Teilhabe am Berufsleben beeinträchtigen. Das Gericht akzeptierte vor allem, dass die Unmöglichkeit eines Arbeitnehmers, weiterhin dauerhaft in Vollzeit tätig zu werden, eine Behinderung darstellt.

Sodann rügte es, dass die Arbeitgeber nicht entsprechend Art. 5 der Richtlinie gehandelt haben. Danach hätten sie, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, angemessene Vorkehrungen treffen müssen. Es hätten geeignete und im konkreten Fall erforderliche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Es sei denn, diese Maßnahmen würden das Unternehmen unverhältnismäßig belasten.

Der EuGH sah die erforderlichen Maßnahmen hier auch in der Anordnung von Teilzeit: Dies hätte dazu geführt, dass Barrieren beseitigt worden wären, was gerade die Behinderung am Berufsleben teilzuhaben, gemindert hätte. Die Luxemburger Richter betonen, dass sowohl die Verkürzung der Arbeitszeit als auch die Veränderung des Arbeitsrhythmus (Takt oder Geschwindigkeit mit der die Arbeit zu verrichten ist) eine solche Maßnahme darstellen kann. Außerdem stellten sie fest, dass die generelle Zulassung einer krankheitsbedingten Kündigung jedenfalls mittelbar eine Diskriminierung wegen einer Behinderung darstellen kann. So sei zwar nicht jede Krankheit eine Behinderung, wohl aber könne eine krankheitsbedingte Kündigung wegen lang andauernder Krankheit eine Kündigung wegen einer Behinderung und damit jedenfalls mittelbar eine Ungleichbehandlung von Behinderten darstellen. Mit dem Verweis darauf, dass auch eine Diskriminierung wegen einer Behinderung rechtmäßig sein kann, wenn die Ungleichbehandlung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist, verwies es die Sache an das vorlegende Gericht zurück.

Dieses muss nun prüfen, ob mit der Zulassung einer krankheitsbedingten Kündigung nach dänischem Recht rechtmäßige Ziele verfolgt und dabei nicht die besonderen Schwierigkeiten von Menschen mit Behinderung bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt verkannt werden.

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Konsequenzen

Auch wenn es in Deutschland keine gesetzliche Regelung zur krankheitsbedingten Kündigung gibt, so ist sie durch die Rechtsprechung anerkannt. In Zukunft wird sich insofern auch ein deutsches Gericht in ähnlich gelagerten Fällen damit auseinandersetzen müssen, ob in einer solchen Kündigung eine Diskriminierung liegt und sie gerechtfertigt ist. Dies erhöht das Risiko für die Unternehmen.

esonderes Gewicht kommt dann auch dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX zu. Zu diesem ist der Arbeitgeber verpflichtet, wenn ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Beim BEM werden Unternehmen zukünftig offensiver und aktiver vorgehen müssen, wenn sie sich nicht einen Verstoß gegen Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG vorwerfen lassen wollen. Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist, das BEM durchzuführen und auch arbeitgeberseitig absolut ergebnisoffen alle Möglichkeiten zu prüfen, um weitere Ausfallzeiten, die später zu einer krankheitsbedingten Kündigung führen könnten, zu verhindern.

 

Praxistipp

Vor diesem Hintergrund sollten Arbeitgeber zukünftig im Rahmen des BEM auch prüfen, ob eine Arbeitszeitverringerung geeignet ist, eine Behinderung zu mildern und eine krankheitsbedingte Kündigung zu verhindern.

RAin, FAin für Arbeitsrecht und Wirtschaftsmediatorin Monika Birnbaum, MM, FPS Rechtsanwälte und Notare, Berlin

Redaktion (allg.)

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