Gesetzliche Rentenversicherungspflicht für Syndikusanwälte
Problempunkt
Die Kläger sind als Rechtsanwälte zugelassen und in Unternehmen (nichtanwaltliche Arbeitgeber) als Syndikusanwälte beschäftigt. Im ersten Fall als juristische Mitarbeiterin in der Rechtsabteilung eines Beratungsunternehmens für betriebliche Altersversorgung und Vergütung, im zweiten Fall als Vorstandsreferent und Compliance Beauftragter und im dritten Fall als Arbeitsrechtler in der Abteilung "Concept & Coordination" eines großen Chemieunternehmens. Alle drei beantragten die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu Gunsten des jeweiligen Versorgungswerks der Rechtsanwälte. Die Vorinstanzen bejahten einen Befreiungsanspruch (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 19.2.2013 - L 11 R 2182/11; v. 23.1.2013 - L 2 R 2671/12) oder lehnten ihn teilweise ab (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.5.2013 - L 18 R 170/12).
Entscheidung
Das BSG verneinte in allen drei Verfahren ein Befreiungsrecht. Die Kläger sind jeweils abhängig beschäftigt und damit in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 1 SGB VI). Gleichzeitig sind sie sowohl in der jeweiligen Rechtsanwaltskammer (§§ 12 Abs. 3, 60 Abs. 1 Satz 2 BRAO) als auch im jeweiligen berufsständischen Versorgungswerk Pflichtmitglieder, dies jedoch nicht wegen der Beschäftigung. Dafür müsste die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und im berufsständischen Versorgungswerk wegen ein und derselben Beschäftigung bestehen.
Bei ihren jeweiligen Arbeitgebern sind sie jedoch nicht als Rechtsanwälte beschäftigt. Nach der Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild nach der BRAO ist der Syndikus als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber nicht als Rechtsanwalt tätig (BVerfG, Urt. v. 4.11.1992 1 BvR 79/85, NJW 1993, S. 317; BGH, Urt. v. 7.11.2011 AnwZ [B] 20/10, NJW 2011, S. 1517). Ebenso hat der EuGH (Urt. v. 14.9.2010 C-550/07 P, Akzo Nobel, NJW 2010, S. 3557) entschieden, dass der Schutz der Kommunikation zwischen Mandant und Rechtsanwalt einer gemeinsamen Tradition der Mitgliedsstaaten entsprechend nur für Schriftwechsel gilt, der von unabhängigen Rechtsanwälten ausgeht, d. h. von Anwälten, die nicht durch einen Dienstvertrag an den Mandanten gebunden sind. Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt ist der Syndikus nur in seiner freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb seines Dienstverhältnisses (sog. Doppel- oder Zweiberufe- Theorie).
Der bisher von der DRV Bund angewandten Vier-Kriterien-Theorie, wonach die Befreiung erfolgen konnte, wenn kumulativ rechtsberatende, -entscheidende, -gestaltende und -vermittelnde Tätigkeiten nachweislich ausgeführt wurden, erteilt das BSG eine Absage. Deshalb haben aber die Inhaber einer Befreiung der DRV Bund ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Fortbestand dieser Entscheidungen. Dieser Vertrauensschutz bezieht sich auf die jeweilige Beschäftigung, für die die Befreiung ausgesprochen wurde (vgl. BSG, Urt. v. 31.10.2012 B 12 R 3/11 R, NZA 2013, S. 1427).
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Konsequenzen
Nach Ansicht des BSG kann derjenige, der eine weisungsgebundene Tätigkeit ausübt, die seine ganze Arbeitskraft in Anspruch nimmt, überhaupt nicht Anwalt sein. Dies auch dann nicht, wenn er als Syndikus seinem Arbeitgeber in Rechtsangelegenheiten Rat und Beistand auf fachlich einem Rechtsanwalt entsprechenden Niveau gewährt sowie dabei selbstständig und eigenverantwortlich handelt.
Für diejenigen Unternehmensanwälte, die noch über keinen Befreiungsbescheid verfügen, besteht nach dem BSG keine Möglichkeit einer Befreiung mehr sie sind gesetzlich rentenversicherungspflichtig. Bei Aufrechterhaltung der Zulassung sind sie somit doppelt versichert: Als Syndikus in der DRV Bund (häufig mit Höchstbeiträgen), als nebenberufliche Anwälte im Versorgungswerk (häufig mit Mindestbeitrag). Die Unternehmensanwälte, die über eine Befreiung verfügen, genießen Vertrauensschutz. Jedoch ist diese nicht personenbezogen, sondern beschränkt auf den jeweiligen Arbeitgeber und die jeweilige Tätigkeit, für die der Bescheid erteilt wurde (BSG v. 31.10.2012, a. a. O.). Ein Wechsel des Arbeit gebers oder auch ein wesentlicher Funktionswechsel im selben Unternehmen führt deshalb zum Verlust der Befreiung und zur gesetzlichen Rentenversicherungspflicht (vgl. Huff, AuA 12/13, S. 704 ff.).
Nur der Wechsel zu einem anwaltlichen Arbeitgeber befreit den Syndikus zu Gunsten des Versorgungswerks; umgekehrt führt der Wechsel aus einer Anwaltskanzlei in ein Unternehmen zur gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Faktisch statuiert das BSG damit ein Jobwechselverbot bzw. bewirkt ein Retention-Programm. Ob dies Art. 12, 14 und 3 GG gerecht wird, erscheint fraglich. M. E. verletzt es den Gleichheitsgrundsatz und verkennt die Berufsbilder sowie die hohe Bedeutung der Unternehmensjuristen für die Corporate Governance/Compliance (vgl. Merkt, NJW 2014, S. 2310), elementar anzunehmen, der im Unternehmen (z. B. AG, GmbH) beschäftigte verantwortliche Leiter der Rechtsabteilung, Datenschutz- (vgl. § 4f Abs. 3 Satz 2 BDSG) oder Compliancebeauftragte könne generell kein Anwalt (mehr) sein; der in einer Law-Firm (bspw. GbR, Partnerschaftsgesellschaft, GmbH, AG oder englischen LLP) beschäftigte Junior Associate oder gar Professional- Support-Lawyer, der den Weisungen der Partner und Mandanten unterliegt und häufig im Backoffice tätig ist, hingegen schon (vgl. Huff, AuA 5/14, S. 300 f.).
Praxistipp
Es ist damit zu rechnen, dass die Thematik im Fokus der Betriebsprüfungen stehen wird und – sollten Befreiungsbescheide nicht vorliegen – Beiträge auf vier Jahre begrenzt nachgefordert werden (§§ 28e, 25 SGB IV). Das Problem stellt sich daneben bei in Unternehmen beschäftigten Ärzten, Apothekern, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, die ebenfalls verkammert sind und eigene Versorgungswerke haben – auch hier sind Restriktionen zu befürchten. Da die DRV Bund zurzeit alle Befreiungsanträge von Syndikusanwälten ablehnt, müssen die Antragsteller zur Vermeidung der Bestandskraft den kostenfreien Sozialrechtsweg gehen (§ 183 SGG), sich für eine Gesetzesänderung von § 6 SGB VI, § 46 BRAO im Sinne einer Befreiungsoption zu Gunsten von Syndikusanwälten einsetzen bzw. auf geänderte Rechtsprechung hoffen.
RA Volker Stück, Leiter Personal und Compliance Beauftragter Hochspannungstechnik, ABB AG, Hanau
Redaktion (allg.)
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