Problempunkt
In der Betriebspraxis ist immer noch die Auffassung verbreitet, der Arbeitgeber könne nicht nur mitbestimmungsfrei entscheiden, ob er außerhalb gesetzlicher Verpflichtungen Berufsbildungsmaßnahmen durchführt (was zutrifft), sondern auch die Teilnehmer mitbestimmungsfrei auswählen und der Betriebsrat müsse sich mit einer diesbezüglichen Information begnügen. Dass Letzteres falsch ist, zeigt die vorliegende Entscheidung.
Anfang März 2011 bat der Arbeitgeber das Gremium um Zustimmung zur Freistellung des Mitarbeiters N für die Teilnahme am Lehrgang „MDD Weight and Balance“ in der Zeit vom 23.–27.5.2011. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung und benannte sechs andere Arbeitnehmer, die seiner Auffassung nach bevorzugt einzuplanen seien; es sei nicht ersichtlich, dass N die Weiterbildung benötige. Auch einen weiteren Arbeitgeberantrag lehnte er ab und benannte erneut andere Teilnehmer. Gleichwohl nahm N an der Weiterbildungsmaßnahme teil. Der Antrag der Arbeitnehmervertreter, dem Unternehmen aufzugeben, es zu unterlassen, ohne Einigung mit dem Betriebsrat oder Ersetzung durch die Einigungsstelle, Beschäftigte für Bildungsmaßnahmen freizustellen und für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von 10.000 Euro anzudrohen, war – anders als in den Vorinstanzen – beim BAG erfolgreich.
Entscheidung
Der Antrag ist begründet, denn der Arbeitgeber hat grob gegen seine Verpflichtungen aus § 98 Abs. 4 BetrVG verstoßen, indem er ohne Einigung mit dem Betriebsrat oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle einen Beschäftigten für eine Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung freigestellt hat. Gem. § 23 Abs. 3 BetrVG kann das Gremium daher vom Arbeitgeber verlangen, dies zukünftig zu unterlassen.
Die Annahme des LAG, der einmalige Verstoß gegen § 98 Abs. 4 BetrVG sei nicht als „grob“ i. S. v. § 23 Abs. 3 BetrVG anzusehen, ist unzutreffend. Auch die einmalige Verletzung der Pflichten aus dem BetrVG kann grob sein, wenn sie nur schwerwiegend genug ist (BAG, Beschl. v. 14.11.1989 – 1 ABR 87/88, NZA 1990, S. 357). Das Beschwerdegericht hat insoweit nicht beachtet, dass für das Unternehmen an dieser Verpflichtung kein Zweifel bestanden hat und auch nicht bestehen konnte. Es hat nicht einmal behauptet, ihm sei die Rechtslage unklar gewesen. Mit seiner abweichenden Rechtsposition hat es sich vielmehr über die eindeutige gesetzliche Anordnung hinweggesetzt und diese offensichtlich für sich als nicht verbindlich erachtet. Der Arbeitgeber hat damit nachhaltig und grob gegen die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung verstoßen.
Ein Überblick über die drei Teilbereiche des „Kollektiven Arbeitsrechts“: Betriebsverfassungsrecht (BetrVG, SprAuG, EBRG), Unternehmensmitbestimmungsrecht (DrittelbG, MitbestG, Montan-MitbestG), Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (TVG, Artikel 9 III GG)
Konsequenzen
Neben dem „Normalfall“ betrieblicher Bildungsmaßnahmen (bei guter Wirtschaftslage des Betriebs bzw. Unternehmens) gewinnt der Beschluss des BAG für die Praxis besonderes Gewicht in den Fällen der §§ 92a und 97 Abs. 2 BetrVG.
Nach § 92a Abs. 1 BetrVG kann der Betriebsrat u. a. Vorschläge zur Beschäftigungssicherung machen, die auch die „Qualifizierung der Arbeitnehmer“ zum Gegenstand haben können. Nach Abs. 2 hat der Arbeitgeber die Vorschläge mit dem Gremium zu beraten. Zu den Beratungen können beide einen Vertreter der Bundesagentur für Arbeit hinzuziehen.
§ 97 Abs. 2 BetrVG lautet: „Hat der Arbeitgeber Maßnahmen geplant oder durchgeführt, die dazu führen, dass sich die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ändert und ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen, so hat der Betriebsrat bei der Einführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung mitzubestimmen. Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle.“
Schließlich sei auch daran erinnert, dass das Gremium gem. § 96 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vom Unternehmen verlangen kann, dass es den Berufsbildungsbedarf ermittelt und das Ergebnis mit ihm erörtert.
Praxistipp
Besonders in den letztgenannten Fallkonstellationen spricht alles dafür, den Betriebsrat möglichst frühzeitig anzusprechen, um sich zügig über als notwendig anerkannte Maßnahmen der Berufsbildung und ihre Teilnehmer (!!) zu einigen und so etwaige Verzögerungen eilbedürftiger dringender Maßnahmen, z. B. durch langwierige Einigungsstellenverfahren, zu vermeiden.
Nur nebenbei: Legte man denselben Maßstab, den der 1. Senat im Fall an die Vorgehensweise des Arbeitgebers anlegt, an die Entscheidung der Vorinstanz an, müsste man sagen, das LAG habe die Rechtslage „grob“ verkannt.
Dr. Wolf Hunold, Unternehmensberater, Neuss
Redaktion (allg.)
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