Fortbestand der Arbeitnehmervertretung bei Insourcing
Problempunkt
Aufhänger der Entscheidung ist die kollektivrechtliche Frage, ob Arbeitnehmervertretungen bei "Insourcing-Fällen" fortbestehen. Eine spanische Gemeinde widerrief eine Reihe von Konzessionen, aufgrund derer Unternehmen Gemeinwohlleistungen erbracht hatten (Straßenreinigung etc.). Diese übernahm die Gemeinde nun wieder selbst. Sie beschäftigte die betroffenen Arbeitnehmer auf denselben Arbeitsplätzen mit den gleichen Aufgaben wie zuvor. Sie vollzog also eine Art "Insourcing". Die Weisungsbefugnis der bisherigen Vorgesetzten blieb bestehen. Allerdings waren sie nun den zuständigen Gemeindevertretern untergeordnet. Einen Antrag auf Bewilligung von Arbeitnehmervertretungsstunden der "übernommenen" Arbeitnehmervertreter lehnte die Gemeinde ab. Der vormalige Betrieb sei nicht mehr selbstständig, so dass die Arbeitnehmervertreter infolge ihrer Eingliederung in das Gemeindepersonal nicht mehr ihre Aufgaben als gesetzliche Arbeitnehmervertreter wahrnehmen könnten. Ausgehend von Art. 6 Abs. 1 RL 2001/23/EG stellte sich die Frage, ob die von der Gemeinde übernommene wirtschaftliche Einheit trotz Einordnung in die Gemeindestruktur weiterhin ihre Selbstständigkeit i. S. d. Vorschrift behalten hatte und die Arbeitnehmervertreter nach wie vor befugt sind, ihre gesetzlichen Interessenvertretungsaufgaben wahrzunehmen.
Entscheidung
Der EuGH lehnte dies ab. Dabei grenzte er die Begriffe Selbstständigkeit und Identität voneinander ab. Ob eine übertragene wirtschaftliche Einheit selbstständig bleibt, hängt maßgeblich davon ab, dass sich die Kompetenzen der bisher für die Einheit Verantwortlichen beim Erwerber nicht wesentlich ändern und er in diese Kompetenzen nicht reinregieren kann.
Hier war die Selbstständigkeit der übernommenen Einheiten mit der Integration in die Gemeindestruktur weggefallen. Nach spanischem Recht üben die Gemeindevertreter die Leitungsmacht in der Gemeinde aus und sind weisungsbefugt. Der EuGH spricht insoweit von einer Organisationsbefugnis. Diese definiert er als die Befugnis, innerhalb der Einheit relativ frei und unabhängig zu organisieren, ohne dass andere Organisationsstrukturen des Inhabers in die Arbeit unmittelbar eingreifen. Dazu gehören insbesondere die Befugnisse, Weisungen und Instruktionen zu erteilen, Aufgaben auf untergeordnete Arbeitnehmer zu verteilen und über die Verwendung der materiellen Ressourcen zu entscheiden. Dies sah der EuGH vorliegend als nicht mehr gegeben an. Er verneinte deshalb den Fortbestand der Selbstständigkeit des Betriebs und damit den Anspruch auf Bewilligung von Arbeitnehmervertretungsstunden. Nur im Fall eines Vorgesetztenwechsels ohne Reinregieren bleibt somit die Selbstständigkeit bestehen.
Ein Überblick über die drei Teilbereiche des „Kollektiven Arbeitsrechts“: Betriebsverfassungsrecht (BetrVG, SprAuG, EBRG), Unternehmensmitbestimmungsrecht (DrittelbG, MitbestG, Montan-MitbestG), Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (TVG, Artikel 9 III GG)
Konsequenzen
Die Entscheidung hat hauptsächlich Konsequenzen für die Frage, ob die Arbeitnehmervertretungsmandate fortbestehen. Fällt die Selbstständigkeit weg, erlöschen auch Funktion und Rechte der Arbeitnehmervertreter bzw. es entstehen ggf. Übergangs- und Restmandate, §§ 21a, b BetrVG. Ob dieses Urteil des EuGH die vielfach betonte Rechtssicherheit bringt (Mückl, GWR 2010, S. 461: wichtige Klarstellung; vgl. auch Fröhlich, EuZA Bd. 4 (2011), S. 53, 63: erfreuliche Klarstellung), ist zu bezweifeln. Für die kommunale Praxis mag man dies bejahen. Denn die kommunalen Organe, d. h. Bürgermeister und Gemeinderat, haben schon aufgrund ihrer kommunalverfassungsrechtlich gewährleisteten Kompetenzen (vgl. z. B. § 62 GO NRW für den Bürgermeister) regelmäßig umfassende Weisungs- und Organisationsrechte, mittels derer sie in den Bereich der übernommenen Einheit eingreifen können. Damit wird auf der kommunalen Ebene regelmäßig die Selbstständigkeit einer übernommenen Einheit wegfallen, so dass die Mandate der übernommenen Arbeitnehmervertreter enden (so i. E. auch Zimmermann, KommJur 2010, S. 321, 323).
Auf der normalen betrieblichen Ebene ist dies dagegen gesondert zu prüfen. Denn es bleibt die Frage, wann die Befugnisse der für die Einheit Verantwortlichen auch innerhalb der Organisationsstruktur des Erwerbers im Wesentlichen unverändert bleiben. Schon begrifflich kann es sich dabei nicht qualitativ um die wesentlichen Befugnisse, z. B. Direktionsrecht, Resourcenverteilung, handeln, sondern notwendig ist, dass quantitativ noch genügend Kompetenzen verbleiben. Dies dürfte eine Frage des Einzelfalls sein. Ebenso ist unklar, welche Kernkompetenzen u. U. unangetastet bleiben müssen. Auch insoweit ist man noch deutlich von der gewünschten Rechtssicherheit entfernt.
Praxistipp
Der Erwerber einer wirtschaftlichen Einheit mit den genannten Merkmalen sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob er die vorhandene Weisungsstruktur durchbricht und mit eigenen Kompetenzträgern abändert, oder ob er das „Gesicht“ der übernommenen Einheit weitgehend unangetastet lässt. Ersteres beendet die Mandate der übernommenen Arbeitnehmervertreter. Letzteres bietet den Vorteil, die Einheit weiterhin gesondert betrachten zu können und sich damit die Möglichkeit einer etwas leichteren Weiterveräußerung/-übertragung offenzuhalten. Denn eine zu starke Durchbrechung der eigenen Befugnisse würde die Abgrenzung verwischen und es in einem Prozess erschweren, die Selbstständigkeit der Einheit darzulegen. Der Erwerber kann dabei z. B. durch Platzierung von Geschäftsführern, die über eine Organisationsbefugnis im o. g. Sinne verfügen, auf die erworbene Einheit Einfluss nehmen.
RA Thomas Pauken, Röhrborn Biester Juli Arbeitsrecht, Düsseldorf
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