Problempunkt
Die beklagte Stadt ist eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts. Diese hatte eine Stelle eines „Techn. Angestellte/n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik“ ausgeschrieben. Gesucht wurde gemäß Stellenausschreibung ein „Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr. Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/Sanitär-/ Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation“. Der Kläger hat sich beworben und auf eine vorhandene Schwerbehinderung mit einem GdB von 50 % hingewiesen. Zudem hat er mit einem ausführlichen Lebenslauf auch seine Qualifikation als Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich „Alternative Energien“ belegt. Die Beklagte lud den Kläger jedoch nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein. Die Stelle wurde sodann mit einem anderen Bewerber besetzt.
Der Kläger sah sich aufgrund seiner Behinderung diskriminiert und hat eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beansprucht. Die Beklagte sei ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht nachgekommen, was eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung indiziere.
Die Beklagte meinte, dass der Kläger für die zu
besetzende Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet
sei.
Das Berufungsgericht erkannte auf eine Entschädigung in Höhe eines Bruttomonatsverdiensts, nachdem die erste Instanz sogar drei Monatsgehälter zugesprochen hatte.
Entscheidung
Das BAG hat das Berufungsurteil bestätigt. Aus der nicht erfolgten Einladung zum Vorstellungsgespräch folgt die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden ist. Dieser war aufgrund der Angaben in seiner Bewerbung nicht offensichtlich ungeeignet. Daher bestand für die Beklagte nach § 82 Satz 1 SGB IX die Verpflichtung zur Einladung. Nur im Falle des Vorliegens einer evidenten Ungeeignetheit des Bewerbers darf der Arbeitgeber hiervon nach § 82 Satz 3 SGB IX absehen.
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Konsequenzen
Für öffentliche Arbeitgeber gilt nach § 82 Satz 1 SGB IX die Verpflichtung, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch zu laden. Diese Regelung ist zwingend. Schwierigkeiten für die Betriebspraxis bereitet die gesetzliche Ausnahmeregelung des § 82 Satz 3 SGB IX, wonach eine Einladung ausnahmsweise entbehrlich sein kann. Dies ist der Fall, wenn die fachliche Eignung des Bewerbers offensichtlich fehlt. Tatbestandich ist folglich nicht das Fehlen der Eignung alleine ausreichend, sondern zusätzlich die Evidenz dieser Tatsache. Aus den Angaben der Bewerbung muss sich offensichtlich ergeben, dass dem schwerbehinderten Bewerber die Eignung für die Stelle fehlt. Eine solche Evidenzprüfung ist für den Arbeitgeber mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Eine falsche Einschätzung zieht gravierende Folgen nach sich. Beruft sich ein Unternehmen auf eine offensichtlich fehlende Eignung, geht es das Risiko ein, dass seine Einschätzung einer richterlichen Überprüfung nicht standhält. Dann hat der Arbeitgeber rechtswidrig die Einladung zum Vorstellungsgespräch unterlassen. Dies wiederum indiziert nach § 22 AGG das Vorliegen einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Die Folge hieraus ist eine Verschiebung der Beweislast zu Lasten des Arbeitgebers, der nunmehr beweisbelastet für das Gegenteil ist.
Dass ein Arbeitgeber sehr sorgfältig vorgehen muss, bedarf keiner gesonderten Erwähnung. Es sind jedoch die Umstände des Einzelfalls sehr genau zu betrachten, da die Rechtsprechung insoweit nur sehr begrenzte Orientierungshilfen bietet. Anfang des Jahres entschied der 8. Senat (BAG, Urt. v. 20.1.2016 – 8 AZR 194/14), dass ein erkennbar überqualifizierter Bewerber (Hochschulabsolvent mit zahlreichen Zusatzqualifikationen für eine Sachbearbeiterstelle des gehobenen Dienstes) nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden muss. Im hier vorliegenden Fall wurde durch dieselben Richter im Ergebnis anders erkannt. Gesucht wurde ein Hochschulabsolvent, staatl. Geprüfter Techniker oder Handwerksmeister. Der Bewerber war Umweltschutztechniker. Es lässt sich daher einerseits argumentieren, dass die geforderte Qualifikationsebene zwar formell erreicht wurde. Andererseits ist ein Umwelttechniker kein Techniker in den Gewerken Heizungs-/ Sanitär-/Elektrotechnik, sondern allenfalls in Teilen ausbildungsverwandt.
Praxistipp
Öffentliche Arbeitgeber müssen das Evidenzerfordernis sehr ernst nehmen und an die entsprechende Prüfung eine hohe Messlatte anlegen. Ihre subjektive Sicht auf den zu suchenden Mitarbeiter sollte möglichst anhand der formellen ausgeschriebenen Anforderungen „verobjektiviert“ werden. Im Zweifel sollte man stets einladen. Die fehlende Qualifikation und ihre offensichtliche Erkennbarkeit sind Ausnahmetatbestände. Der mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch verbundene Zeitaufwand dürfte durch die Vermeidung nachgelagerter Risiken aufgewogen werden.
RA und FA für Arbeitsrecht Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen, Direktor KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg
Redaktion (allg.)
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Laut einer Umfrage des Jobportals Indeed benötigen fast die Hälfte (44,4 %) der Beschäftigten in Deutschland in ihrem Beruf