Entgeltfortzahlung – Einheit des Verhinderungsfalls

Der Arbeitnehmer ist für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit als solcher sowie für deren Beginn und Ende darlegungs- und beweispflichtig.

(Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 318/15

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Bild: Nirat.pix / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien stritten über Entgeltfortzahlung. Der Kläger, der bis zum 31.10.2013 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt war, war vom 9.9. bis einschließlich Sonntag, dem 20.10.2013, wegen eines lumbalen Facettensyndroms arbeitsunfähig krank. Am 17.10.2013 suchte er seinen Hausarzt Dr. L erneut auf und beklagte u. a. zunehmende Schulterschmerzen. Am Montag, dem 21.10.2013, attestierte Dr. L wegen Schulterschmerzen mit einer Erstbescheinigung Arbeitsunfähigkeit, und zwar zunächst bis zum 5.11.2013, anschließend mit Folgebescheinigung bis zum 1.12.2013.

Der Kläger hat Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 21. bis zum 31.10.2013 geltend gemacht und vorgebracht, ab dem 21.10.2013 habe Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer neuen Krankheit bestanden. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung und stellte sich auf den Standpunkt, der Kläger sei bereits am 17.10.2013 wegen seiner Schulterverletzung arbeitsunfähig gewesen, sodass der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls greife.

Das ArbG Herne vernahm Dr. L als Zeugen, der weder bestätigen noch ausschließen konnte, dass der Kläger erst am 21.10.2013 und nicht schon am 17.10.2013 wegen Schulterschmerzen arbeitsunfähig wurde. Das ArbG gab der Klage statt, das LAG Hamm wies sie ab.

Entscheidung

Entscheidung

Die hiergegen gerichtete Revision vor dem BAG blieb ohne Erfolg.

Dem Kläger stand kein Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit vom 21. bis zum 31.10.2013 zu. Seine Arbeitsunfähigkeit ab dem 21.10.2013 war nicht durch ein einheitliches Grundleiden und damit eine Fortsetzungserkrankung bedingt, sondern beruhte auf einer erneuten Erkrankung. Da diese allerdings bereits am 17.10.2013 ein und damit zur Ersterkrankung hinzugetreten war, konnte der Arbeitnehmer bei der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die mit dem 20.10.2013 ablaufende Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen (sog. Einheit des Verhinderungsfalls). Der Mitarbeiter, der nicht nur für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit an sich, sondern auch für deren Beginn und Ende darlegungs- und beweispflichtig war, konnte nicht nachweisen, dass er wegen der schmerzenden Schulter erst am 21.10.2013 arbeitsunfähig wurde und dies nicht schon am 17.10.2013 war.

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Konsequenzen

Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG hat ein Arbeitnehmer, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, für die Dauer von sechs Wochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Für die Voraussetzungen des Anspruchs ist der Beschäftigte darlegungs- und beweispflichtig (BAG, Urt. v. 13.7.2005 – 5 AZR 389/04, BAGE 115, S. 206). Seinen Verpflichtungen kommt er regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EntgFG nach (BAG, Urt. v. 26.2.2003 – 5 AZR 112/02, AuA 5/03, S. 56).

Führt dieselbe Krankheit – also das identische Grundleiden – zu einer erneuten Arbeitsunfähigkeit, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor. Diese begründet nur dann einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Mitarbeiter vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EntgFG) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2). Da die Regelungen zur Fortsetzungserkrankung eine durch Gesetz zu Gunsten des Unternehmens getroffene Ausnahmeregelung vom allgemeinen Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall darstellen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast für deren Vorhandensein (BAG, Urt. v. 4.12.1985 – 5 AZR 656/84, NZA 1986, S. 289).

Beruht eine erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit, entsteht nach § 3 Abs. 1 EntgFG ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen. Das EntgFG beschränkt in diesem Fall den Fortzahlungsanspruch nicht auf eine Gesamtdauer von sechs Wochen pro Jahr. Eine solche Begrenzung greift jedoch ein, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen (sog. Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein weiterer Entgeltfortzahlungsanspruch besteht also nur dann, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem eine weitere Erkrankung zu einer neuen Arbeitsverhinderung führt (BAG, Urt. v. 10.9.2014 – 10 AZR 651/12, NZA 2014, S. 1139). Dass dies nicht so ist, ist vom Beschäftigten darzulegen und nachzuweisen.

Praxistipp

Das BAG hat klargestellt, dass der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls im Unterschied zur Fortsetzungserkrankung nicht eine vom Unternehmen einzuwendende Ausnahme betrifft, sondern eine der Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Beruft sich also der Arbeitgeber, dessen Mitarbeiter sich im unmittelbaren Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krankmeldet, hierauf, bestreitet er damit, dass die Arbeitsunfähigkeit infolge der „neuen“ Krankheit erst jetzt eingetreten sei. Ein solches Bestreiten ist ihm anzuraten, wenn aus seiner Sicht „Verdachtsmomente“ bestehen. Bringt er hierfür gewichtige Indizien vor oder ist das Hinzutreten einer neuen Krankheit unstreitig, muss der Beschäftigte nachweisen, dass diese erst nach Beendigung der ersten attestierten Krankheit aufgetreten ist. Hierzu kann er sich auf den von ihm aufgesuchten Arzt als Zeugen berufen. Kann dieser jedoch das Hinzutreten einer anderen Krankheit zur unmittelbar vorangehenden, aufgrund derer die sechswöchige Arbeitsunfähigkeit bestand, weder bestätigen noch ausschließen, fällt das Risiko, dies nicht (mehr) feststellen zu können, dem Arbeitnehmer zur Last.

RA und Notar Dr. Ralf Laws LL.M M.M., FA für Arbeitsrecht und Steuerrecht, Fachberater für Unternehmensnachfolge, Brilon

Redaktion (allg.)

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