Betriebliches Eingliederungsmanagement – Grenzen der Mitbestimmung

1. Dem Betriebsrat steht bei der Ausgestaltung der Klärung von Möglichkeiten eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ein Initiativrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu. Im Übrigen sind die diesbezüglichen Mitbestimmungsrechte beschränkt. Insbesondere besteht keines in Bezug auf die Umsetzung von konkreten Maßnahmen.

2. Das Verfahren von § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kann durch einen Spruch der Einigungsstelle nicht insgesamt auf ein „Integrationsteam“ übertragen werden, dem auch einzelne Betriebsratsmitglieder angehören.

3. Der Betriebsrat ist an einem entsprechenden Verfahren nur dann zu beteiligen, wenn der betroffene Arbeitnehmer zustimmt. Hierauf ist er hinzuweisen.
(Leitsätze der Bearbeiterin)

BAG, Beschluss vom 22. März 2016 – 1 ABR 14/14

1106
Bild: beeboys/stock.adobe.com
Bild: beeboys/stock.adobe.com

Problempunkt

Nach erfolglosen Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) kam es zu einem Einigungsstellenverfahren. Dieses endete durch den Spruch der Einigungsstelle und der Betriebsvereinbarung „Betriebliches Eingliederungsmanagement“. Diese sah insbesondere vor, dass zur Durchführung des BEM ein „Integrationsteam“ gebildet werden soll, bestehend aus jeweils einem Vertreter des Arbeitgebers und einem Vertreter des Betriebsrats sowie ggf. einem Vertreter der Schwerbehindertenvertretung. Dieses Integrationsteam sollte das Erstgespräch und eventuelle weitere Gespräche mit den betroffenen Arbeitnehmern führen und hierbei die gesundheitlichen Einschränkungen, die Gefährdungsbeurteilung und weitere Informationen und Unterlagen einbeziehen und erörtern. Auch sollte dieses Team Maßnahmen des BEM erörtern und vorschlagen und diese überprüfen.

Der Arbeitgeber wandte sich gegen den Spruch der Einigungsstelle. Dem Betriebsrat stehe kein Initiativrecht für ein BEM-Verfahren zu und auch die Inhalte der Betriebsvereinbarung gingen über die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats hinaus. Mit dem Integrationsteam sei zudem ein gesetzlich nicht vorhergesehenes Gremium geschaffen worden. Der Arbeitgeber hatte daher beantragt festzustellen, dass der Einigungsstellenspruch unwirksam ist.

Das ArbG Hamburg wies den Antrag ab, das LAG Hamburg gab ihm statt.

Entscheidung

Nach der Entscheidung des BAG war der Spruch der Einigungsstelle insgesamt unwirksam. Bei der Ausgestaltung eines BEM durch einen Spruch der Einigungsstelle ist in Bezug auf jede einzelne Regelung zu überprüfen, ob ein Mitbestimmungsrecht besteht. Der Einigungsstellenspruch enthielt überwiegend Reglungen, die nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterfallen:

Dem Betriebsrat steht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zwar in Bezug auf das BEM ein Initiativrecht zu, dieses beschränkt sich aber auf generelle Verfahrensregelungen zur Ausgestaltung des „Klärungsprozesses“ i. S. d. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Hier geht es lediglich um eine Beratung der Betriebsparteien mit dem Ziel der Verständigung über Möglichkeiten für ein konkretes BEM. Die Bildung eines festen Integrationsteams, in das der Betriebsrat ein Mitglied entsenden kann, ist hingegen nicht von einem Mitbestimmungsrecht gedeckt. Originär ist nun einmal der Betriebsrat zuständig, und wenn dieser Befugnisse auf einen Ausschuss übertragen will, ist dafür das Einvernehmen mit dem Arbeitgeber vorausgesetzt. Dieses fehlt bei einem Spruch der Einigungsstelle. Zudem steht dem Betriebsrat ohnehin kein Mitbestimmungsrecht zu, bei den Gesprächen und den Erörterungen mit den Mitarbeitern zwingend anwesend zu sein. Vielmehr steht es dem betroffenen Arbeitnehmer frei zu entscheiden, ob er das Gremium dabei haben will. Auch die Regelungen, welche die Begleitung der nachfolgenden Umsetzung von Maßnahmen betreffen, unterliegen keinem Mitbestimmungsrecht. Sie sind nicht mehr Teil des Klärungsprozesses.

Das Buch geht auf die realen Arbeitssituationen, die im Umbruch sind, ein und zeigt sowohl arbeitsrechtliche Herausforderungen als auch erste, bereits in der Unternehmenspraxis umgesetzte Lösungsansätze auf.

Konsequenzen

Die Entscheidung schafft Klarheit, wo der Betriebsrat im Rahmen der Ausgestaltung eines BEM zwingend zu beteiligen ist. Das Ausfüllen des vom Gesetzgeber nur als Rahmen vorgegebenen, nicht formalisierten Verfahrens des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kann vom Betriebsrat insbesondere vor der Einigungsstelle nicht im Detail erzwungen werden. Seine Mitbestimmungsrechte sind hier beschränkt auf das vorgeschaltete „Klärungsgespräch“. Wenn es erst einmal um die Ausgestaltung des eigentlichen Gesprächs mit dem betroffenen Mitarbeiter, das Treffen von Maßnahmen und die Begleitung von deren Umsetzung geht, verfügt der Betriebsrat über kein Mitbestimmungsrecht. Bei der Erarbeitung eines BEM-Verfahrens mit dem Betriebsrat – und einem möglichen Einigungsstellenverfahren – ist daher größte Sorgfalt geboten. Der Betriebsrat kann sich zwar initiativ dafür einsetzen, dass Regelungen für ein BEM gemacht werden, aber seinen Mitbestimmungsrechten sind dann doch starke Grenzen gesetzt.

Praxistipp

Arbeitgeber sollten ein System etablieren, dass gewährleistet, dass kein Fall versehentlich vergessen wird, bei dem eigentlich ein BEM-Verfahren durchgeführt werden müsste – wenn also ein Mitarbeiter über einen Zeitraum von zwölf Kalendermonaten (nicht Kalenderjahr!) mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Ein solches Verfahren soll natürlich entsprechend der Intention des Gesetzgebers der Überwindung von Arbeitsunfähigkeit und der Vorbeugung neuerlicher Erkrankungen dienen. Ohne die ordnungsgemäße Durchführung eines BEM wird aber der Ausspruch einer (personenbedingten) Kündigung eines solchen Mitarbeiters erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich. Eine freiwillige Betriebsvereinbarung zum BEM-Verfahren ist ein gutes Instrument, um das Verfahren zu strukturieren und die Abläufe festzulegen, insbesondere, um Fehlern bei der Durchführung des BEM entgegenzuwirken. Auch ist es durchaus sinnvoll, hier tatsächlich ein „Integrationsteam“ zu etablieren, welches sich um entsprechende Fälle kümmert. Außerhalb des Spruchs einer Einigungsstelle können sich Unternehmen und Betriebsrat ja durchaus hierauf einigen.

Die vom BAG im Übrigen gesetzten Grenzen sind aber auch bei einem solchen freien Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu beachten. Insbesondere muss der Arbeitnehmer entscheiden können, ob der Betriebsrat teilnehmen soll oder nicht. Hierauf muss der Arbeitgeber hinweisen.

RAin und FAin für Arbeitsrecht Astrid Krüger, Schulte Riesenkampff Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main

Redaktion (allg.)

· Artikel im Heft ·

Betriebliches Eingliederungsmanagement – Grenzen der Mitbestimmung
Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Was bedeutet bEM?

Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Selbst bei einer ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit von fünfeinhalb Jahren kann eine krankheitsbedingte Kündigung daran scheitern, dass

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

● Problempunkt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf krankheitsbedingte Gründe gestützten Kündigung. Eine

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Anlass für die schriftliche BEM-Befragung

Es ereignet sich nicht selten, dass der längere Zeit arbeitsunfähige Mitarbeiter sich nicht in der Lage

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Im vorliegenden Fall stritten die Parteien über die (vermeintliche) Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Ausgangslage

Wenn in der betrieblichen Praxis Eilfälle auftreten sollten, veranlasst durch Krankheitsfälle eigentlich benötigter