Betriebliche Übung auf Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen

1. Ist der Arbeitgeber nicht tarifgebunden, entsteht regelmäßig lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung des erhöhten Entgelts, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tarifentgelterhöhungen weiterzugeben.

2. Allein aus der Zahlung der erhöhten Tariflöhne über einen Zeitraum von fünf Jahren ergeben sich noch keine deutlichen Anhaltspunkte dafür, der Arbeitgeber wolle sich künftig binden.

3. Auch ein tarifgebundener Arbeitgeber, der die Tarifentgelterhöhungen – ungeachtet der Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitnehmers – an alle Beschäftigten weitergibt, will sich – auch insoweit für die Arbeitnehmer erkennbar – im Regelfall nicht über die Zeit seiner Tarifgebundenheit hinaus ohne die Möglichkeit einer Kündigung des Tarifvertrags oder eines Verbandsaustritts dauerhaft (vertraglich) binden.
(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 24. Februar 2016 – 4 AZR 990/13

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Bild: WavebreakmediaMicro/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der tarifgebundene Arbeitgeber, der eine Rheuma Klinik betreibt, hatte 1995 einen Arbeitsvertrag mit der Klägerin als Krankenpflegerin geschlossen. Nach § 2 bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) sowie den jeweils ergänzenden, ändernden, ersetzenden und sonstigen für die Art der Tätigkeit des Beschäftigten einschlägigen Tarifvereinbarungen.

Zum 1.1.1999 wurde der mehrheitlich im Besitz öffentlicher Anteilseigner befindliche Arbeitgeber durch Aktienkaufvertrag an die S Kliniken GmbH verkauft, in dem es in § 5 Abs. 2 Nr. 5 hieß: „Die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhandenen Mitarbeiter werden weiterhin nach BATBMT- G entlohnt und deren Zusatzversorgung nach dem einschlägigen Tarifvertrag gewährleistet“. Zum 31.3.1999 schied der Arbeitgeber aufgrund der neuen Eigentumsverhältnisse aus dem kommunalen Arbeitgeberverband Rheinland- Pfalz aus. Er gab aber von 1999 bis 2004 die für den öffentlichen Dienst vereinbarten tariflichen Lohnerhöhungen an seine Arbeitnehmer weiter.

Entscheidung

Nach dem BAG hat die Klägerin aber keinen Anspruch auf eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 4a, Stufe 5 TVöD-K und die Zahlung der entsprechenden Vergütungsdifferenzen für den Zeitraum von März bis September 2012.

Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden (BAG, Urt. v. 23.3.2011 – 4 AZR 268/09, NZA 2012, S. 231). Hat ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber seine Löhne mehrfach entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet erhöht, entsteht allein daraus kein Anspruch, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Denn ein nicht tarifgebundenes Unternehmen will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen (BAG, Urt. v. 20.6.2001 – 4 AZR 290/00, NZA 2002, S. 352). Weiter stellt das BAG fest, dass selbst ein tarifgebundener Arbeitgeber sich i. d. R. nicht über die Zeit seiner Tarifbindung hinaus dauerhaft darauf festlegen will, Tariflohnerhöhungen weiterzugeben. Das ist für die Arbeitnehmer auch erkennbar (BAG, Urt. v. 19.10.2011 – 5 AZR 359/10, NZA-RR 2012, S. 344). Eine betriebliche Übung kann nur dann entstehen, wenn deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür sprechen, dass er die Erhöhungen – auch ohne diesbezügliche Tarifpflicht – künftig, d. h. auf Dauer übernehmen will. Daran fehlte es vorliegend.

Es ergibt sich auch kein Anspruch aus der dynamischen Bezugnahmeregelung in § 2 des Arbeitsvertrags von 1995, die nach der früheren Rechtsprechung eine reine Gleichstellungsabrede ist. Es handelt sich um einen Vertrag, der vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1.1.2002 abgeschlossen wurde. Für solche Altverträge gewährt das BAG auch weiterhin Vertrauensschutz (BAG, Urt. v. 23.2.2011 – 4 AZR 536/09, BB 2011, S. 1725). Die Dynamik endete daher mit dem Verbandsausschluss der Beklagten zum 31.3.1999.

Aus dem Aktienkaufvertrag ergibt sich nichts anderes. Insbesondere ist er kein Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB), d. h. der Arbeitnehmer. Aus dem Wortlaut des Aktienkaufvertragsergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Auslegung dahin, dass unmittelbare Rechte zugunsten der Mitarbeiter begründet werden sollten.

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Konsequenzen

Das BAG bestätigt seine Rechtsprechung, nach der durch die bloße Weitergewährung von Tariferhöhungen durch einen nicht (mehr) tarifgebundenen Arbeitgeber grundsätzlich keine betriebliche Übung entsteht. Das Urteil zeigt zugleich, dass dies anders sein kann, wenn – aus Sicht der Arbeitnehmer – das Verhalten des Arbeitgebers dahin verstanden werden kann, dass solche Erhöhungen auch in Zukunft immer gewährt werden sollen.

Praxistipp

Nicht (mehr) tarifgebundenen Arbeitgebern ist zu empfehlen, bei der Weitergabe einer Tariferhöhung ausdrücklich und nachweisbar darauf hinzuweisen, dass dies keinen Anspruch auf Weitergabe künftiger Tariferhöhungen begründet, sondern nur die gerade aktuelle Erhöhung weitergeben werde. Dies kann z. B. durch einen Aushang oder einen Hinweis in der geänderten Gehaltsabrechnung erfolgen.

RA Volker Stück, Aschaffenburg

Redaktion (allg.)

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