Benachteiligung auch bei Nichtbesetzen der Stelle möglich

Eine nach § 15 Abs. 2 AGG entschädigungspflichtige Benachteiligung eines abgelehnten Bewerbers kann auch vorliegen, wenn die ausgeschriebene Stelle am Ende des Bewerbungsverfahrens nicht besetzt wurde.

(Leitsatz der Bearbeiterin)

BAG, Urteil vom 23. August 2012 – 8 AZR 285/11

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch i. H. v. 26.400 Euro nach dem AGG wegen Altersdiskriminierung bei einer Bewerbung. Die beklagte Arbeitgeberin suchte per Internetportal "zwei freiberufliche Mitarbeiter (...) zwischen 25 und 35 Jahren". Der 1956 geborene Kläger bewarb sich erfolglos. Die Beklagte lud mindestens einen anderen Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch ein, besetzte die Stellen letztlich jedoch nicht. Sie bestreitet, dass der Kläger objektiv geeignet war und subjektiv seine Bewerbung ernsthaft meinte. Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab.

Entscheidung

Das BAG hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen war es der Ansicht, eine entschädigungspflichtige Benachteiligung des abgelehnten Stellenbewerbers setzt nicht gem. § 15 Abs. 2 AGG voraus, dass der Arbeitgeber die ausgeschriebene Stelle tatsächlich besetzt hat. Die unmittelbare Benachteiligung des Klägers liegt bereits darin, dass ihm eine Chance versagt wurde, da ihn die Beklagte nicht in die Auswahl einbezog und – anders als mindestens einen weiteren Bewerber – nicht zum Vorstellungsgespräch einlud. Daher war es irrelevant, ob sie den anderen Kandidaten später tatsächlich einstellte. Die Auslegung der Norm darf nicht dazu führen, dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, durch geeignete Verfahrensgestaltung, bspw. den vorläufigen Verzicht auf eine Stellenbesetzung, seine Entscheidung unangreifbar zu machen.

Der Senat konnte die Sache jedoch nicht selbst entscheiden, da das LAG keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hatte, ob der Kläger für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet war. Für eine Benachteiligung ist es notwendig, dass der Arbeitgeber eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder erst gar nicht in Betracht gezogen hat. Ob der Betreffende objektiv geeignet ist, richtet sich zum einen nach dem vom Arbeitgeber erstellten Anforderungsprofil. Zum anderen ist entscheidend, welche Anforderungen an die Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung gestellt werden. Sollte das LAG zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger objektiv geeignet war, muss es weiter prüfen, ob er wegen seines Alters benachteiligt wurde, er den Anspruch rechtzeitig gem. § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht hat und dieser nicht wegen Verstoßes gegen das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB (AGG-Hopping) ausgeschlossen ist.

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Konsequenzen

Mit dieser Entscheidung legt der Senat den Begriff der unmittelbaren Benachteiligung i. S. d. § 3 Abs. 1 AGG sehr weit aus: Die weniger günstige Behandlung des Klägers im Vergleich zu einer Person, die die Beklagte zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, sieht er bereits darin, dass ihm durch die Nichteinbeziehung in die Auswahl eine Chance versagt wurde. Das macht den Anwendungsbereich des AGG sehr weit. Denn wenn der Arbeitgeber am Ende des Bewerbungsverfahrens niemanden einstellt, wurde ja letztlich keine Person günstiger behandelt als der vermeintlich Benachteiligte. Zwischenzeitlich hatte zwar der eingeladene Bewerber einen „Vorsprung“. Dieser hat sich jedoch nicht in einem echten Vorteil realisiert, wenn die Stelle nicht besetzt wird. Praxisgerechter wäre eine Gesamtbetrachtung des jeweiligen Personalprozesses. Nur nach dessen Abschluss lässt sich anhand der Einstellungs- oder Beförderungsentscheidung beurteilen, ob eine Person ungünstiger als eine andere behandelt wurde.

Ob die übrigen Voraussetzungen einer ungerechtfertigten Benachteiligung vorliegen, muss nun das LAG prüfen. Insbesondere äußerte sich der Senat nicht zur Frage, ob das Kriterium in der Stellenausschreibung „Mitarbeiter zwischen 25 und 35 Jahren“ eine Diskriminierung wegen des Alters indiziert. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des BAG und der Instanzgerichte ist eine solche Indizwirkung zu vermuten: Der 8. Senat bejahte diese in Bezug auf das Suchkriterium „junge“ Bewerber (Urt. v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09). Ebenso hatte bereits zuvor der 1. Senat entschieden bei der Beschränkung einer internen Stellenausschreibung auf Bewerber im ersten Berufsjahr (Urt. v. 18.8.2009 – 1 ABR 47/08, AuA 12/10, S. 727). Das LAG Hamburg sah die Indizwirkung für das Merkmal „junges Team“ sogar dann, wenn es unter der Überschrift „Wir bieten Ihnen“ steht (Urt. v. 23.6.2010 – 5 Sa 14/10).

Genau gegensätzlich urteilte das LAG Nürnberg. Danach lässt die Formulierung „wir bieten einen zukunftssicheren Arbeitsplatz in einem jungen motivierten Team“ für sich genommen noch nicht die Benachteiligung eines Bewerbers wegen des Alters vermuten (Urt. v. 16.5.2012 – 2 Sa 574/11). Die Stellenausschreibung für einen „Junior Personalreferenten“ sieht das LAG Berlin-Brandenburg als unproblematisch

an. Der Arbeitgeber suche damit nicht gezielt nach jüngeren Bewerbern, sondern die Bezeichnung „Junior“ meine allein die Stellung in der betrieblichen Hierarchie (Urt. v. 21.7.2011 – 5 Sa 847/11, AuA 3/12, S. 185).

 

Praxistipp

Die Beispiele zeigen, dass man sich mit Altersangaben bzw. -andeutungen in Stellenanzeigen auf einem juristischen Minenfeld befindet. Bei der Formulierung sollten Arbeitgeber daher – auch wenn sie einen Dritten damit beauftragen – größte Sorgfalt walten lassen. Es empfiehlt sich, Altersvorgaben – wenn sie nicht einen handfesten legitimen Zweck verfolgen – ganz wegzulassen. Die Anforderungen sollten tätigkeitsbezogen und nicht unverhältnismäßig sein, bspw. perfekte Deutschkenntnisse in Wort und Schrift für eine einfache handwerkliche Tätigkeit.

RAin Kristina Huke, Abteilung Arbeitsrecht, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Berlin

Redaktion (allg.)

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