Außerordentliche Kündigung - strafrechtliche Verurteilung

1. Kündigt der Arbeitgeber nicht schon aufgrund des Verdachts einer strafbaren Handlung, sondern wartet er das Ergebnis des Strafverfahrens ab, so wird die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB jedenfalls dann gewahrt, wenn der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung binnen zwei Wochen seit Kenntniserlangung von der Tatsache der Verurteilung ausspricht.


2. Stellt der Arbeitgeber allein hierauf ab, ohne die schriftlichen Gründe des Strafurteils zu kennen, so genügt eine entsprechende Information gegenüber dem Personalrat jedenfalls dann den Anforderungen an die Mitteilungspflicht gemäß § 77 Abs. 3 Bad-WürttPersVG, wenn der Personalrat die näheren Umstände des Tatvorwurfs bereits kennt (im Anschluss an BAG v. 27.6.1985, AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972).

BAG, Urteil vom 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 § 626 BGB; § 77 PersVG Baden-Württemberg

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Bild: WavebreakmediaMicro/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger war als Kameraassistent seit 1967 bei der beklagten Rundfunkanstalt beschäftigt. Bis 1989 stand dem Kläger ein persönlicher, mittels Sicherheitsschlüssel abschließbarer Garderobenschrank zur Verfügung. Einen weiteren Schlüssel besaß die Beklagte. Ende 1989 wurde dem Kläger ein neuer Schrank zugeteilt. Zugleich wurde er aufgefordert, bis spätestens Ende Mai 1991 den alten Schrank zu räumen.

Anfang Dezember 1990 wurde ein so genannter SWF-Shop zum Zwecke des Vertriebs von Werbeartikeln des Senders eingerichtet. Im Zuge der Einräumungsarbeiten bemerkte man den Verlust von Feuerzeugen in Gestalt von Mikrofonen und Regenschirmen. Anfang März 1991 verschwanden weitere Gegenstände, darunter mehrere Akkugeräte für transportable Fernsehkameras und ein Ladegerät.

Am 10. Mai 1991 forderte die Beklagte den Kläger auf, seinen alten Schrank zu öffnen. Darin fanden sich die vermissten Gegenstände. Der Kläger bestritt, mit den Vorfällen etwas zu tun zu haben. Als sich bei einer späteren Durchsuchung der Wohnung des Klägers zwei weitere Mikrofone und ein Euro-Signal-Gerät fanden, erteilte ihm die Beklagte eine schriftliche Abmahnung. Zuvor war er im Beisein des Personalratsvorsitzenden zu den Vorwürfen angehört worden.

Entscheidung

Das Amtsgericht Baden-Baden verurteilte den Kläger sodann im Januar 1992 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe. Daraufhin hörte die Beklagte den Personalrat unter Hinweis auf die strafrechtliche Verurteilung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an und sprach schließlich eine solche am 30. Januar 1992 aus.

Die Klage gegen die fristlose Kündigung blieb in allen Instanzen erfolglos. Die ausgesprochene außerordentliche Kündigung scheiterte weder an einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung, noch wurde die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt.

Dem Personalrat war zwar im Anhörungsschreiben lediglich die erfolgte strafrechtliche Verurteilung mitgeteilt worden, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits die schriftliche Urteilsbegründung vorgelegen hatte. Da jedoch der Personalratsvorsitzende bei der Anhörung des Klägers anwesend war, verfügte er über die kündigungsrelevanten Tatsachen, welche schließlich zur strafrechtlichen Verurteilung geführt hatten.

Auch war die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden, denn die Verurteilung im strafgerichtlichen Verfahren stellt eine neue Tatsache i. S. des § 626 Abs. 1 BGB dar. Die Frist begann in dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem die Beklagte Kenntnis von der Verurteilung erhalten hatte. Nach Auffassung des 2. Senats habe die Beklagte die Rechtskraft des Urteils nicht abwarten müssen. Hätte sie bis zur Rechtskraft des Urteils zugewartet, so läge auch darin eine neue Tatsache mit der Folge, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erneut zu laufen begonnen hätte.

Ähnlich liegen die Dinge bezüglich der schriftlichen Urteilsbegründung. Da das Arbeitsgericht an die strafrechtliche Verurteilung nicht gebunden ist, wäre auch eine unter Hinweis auf eine solche Verurteilung ausgesprochene Tatkündigung für sich genommen unwirksam. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren müsse die Beklagte vielmehr die Kündigungsgründe und das dadurch unwiderruflich zerstörte Vertrauensverhältnis darlegen und beweisen.

Die Beklagte hat auch ihr Recht zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung nicht verwirkt. In der schriftlichen Abmahnung hatte sie den Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie weitergehende Maßnahmen prüfen werde, wenn sich der Diebstahlsverdacht bestätigen sollte.

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Konsequenzen

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Praxistipp

Besteht lediglich der Verdacht einer strafbaren Handlung eines Arbeitnehmers und erhärtet sich dieser auch nicht nach dessen Anhörung, so kann der Arbeitgeber darauf verzichten, eine Verdachtskündigung zu diesem Zeitpunkt auszusprechen. Es wird ihm damit nicht die Möglichkeit einer späteren Kündigung genommen. Um einer Verwirkung des Ausspruchs einer solchen Kündigung zu entgehen, sollte der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer schriftlich mit-teilen, dass er arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Fall einer zukünftigen strafrechtlichen Verurteilung ziehen wird.

Peggy Lenart, Darmstadt

Redaktion (allg.)

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