Ausschlussfristen und Mindestentgelt

Eine arbeitsvertragliche Verfallklausel, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV erfasst, verstößt im Anwendungsbereich dieser Verordnung gegen § 9 Satz 3 i. V. m. § 13 AEntG und ist insoweit nach § 134 BGB unwirksam.
(Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 24. August 2016 – 5 AZR 703/15

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Bild: schemev / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Klägerin war beim Beklagten als Pflegekraft beschäftigt. Sie begehrt von ihm Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus dem inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis. Der Arbeitsvertrag enthielt als Allgemeine Geschäftsbedingung eine zweistufige Verfallklausel. Nach deren Inhalt verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Bei Ablehnung oder Nichtäußerung der Gegenpartei binnen zwei Wochen nach der Geltendmachung sollte darüber hinaus dann der Verfall eintreten, wenn der Anspruch nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Die Klägerin war im laufenden Arbeitsverhältnis zeitweise arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Beklagte hat jedoch die ärztliche Bescheinigung angezweifelt und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall abgelehnt. Mehr als drei Monate nach der Ablehnung durch den Beklagten hat die Angestellte daraufhin die Zahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beim ArbG Braunschweig anhängig gemacht. Der Beklagte blieb bei der Ablehnung unter Berufung auf die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel. Beide Vorinstanzen haben der Klage im Ergebnis stattgegeben.

Entscheidung

Das BAG hat die Ausschlussklausel für unwirksam erklärt und folgerichtig das Berufungsurteil bestätigt. Der 5. Senat hat in der Klausel sowohl einen Verstoß gegen § 9 Satz 3 AentG, als auch gegen das Transparenzgebot des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB erkannt. In Ermangelung einer wirksamen Ausschlussklausel hatte die Klägerin für den durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Arbeitsausfall nach § 3 Abs. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die nach Inkrafttreten der PflegeArbbV in 2010 vom Beklagten gestellte Klausel verstößt zunächst gegen § 9 Satz 3 AEntG, so dass der Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV nicht wegen Versäumung der vertraglichen Ausschlussfrist erlischt. Dies folgt aus der Unverzichtbarkeit auf den Anspruch auf das Mindestentgelt. Soweit der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dem Mindestentgelt entspricht, ist dieser folglich genauso unverzichtbar wie der Mindestentgeltanspruch selbst. Für darüber hinausgehende Ansprüche kann die Klausel gleichfalls nicht aufrechterhalten werden, weil sie gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstößt.

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Konsequenzen

Die Problematik der wirksamen Vereinbarung einer Ausschlussklausel beschäftigt die Gestaltungspraxis fortlaufend. Das vorliegende Urteil bringt einen zusätzlichen Aspekt ins Spiel. Die Entscheidung ist über den gegenständlichen Pflegebereich hinaus von hoher Relevanz. Zwar wird in der Inhaltskontrolle vorliegend auf die Kontrolle von vertraglichen Ausschlussklauseln im Anwendungsbereich der PflegeArbbV abgestellt, die eine spezialgesetzliche Mindestlohnregelung enthält. Die Rechtswirkung des Urteils dürfte jedoch auch alle sonstigen Ausschlussklauseln betreffen, deren Arbeitsverhältnisse im Geltungsbereich des allgemeinen Mindestlohnes nach § 1 MiLoG liegen. Der Regelungsgehalt zum gesetzlichen Mindestentgelt in der Pflege ist mit den allgemeinen Regeln des MiLoG vergleichbar, so dass sich eine Übertragung der Entscheidungsgründe auf diesen Bereich geradezu aufdrängt. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Betriebspraxis: Das BAG erklärt die gegenständliche zweistufige Ausschlussklausel für insgesamt unwirksam. Die Unwirksamkeit sei umfassend und würde folglich sowohl Ansprüche auf Mindestentgelte als auch alle darüber hinausgehenden Ansprüche betreffen. Viele Arbeitgeberverwenden derzeit indes genau solche Formulierungen wie hier gegenständlich seit längerem, da nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung das Einhalten einer Mindestfrist von drei Monaten für die außergerichtliche und anschließend gerichtliche Geltendmachung höchstrichterlich für hinreichend erachtet worden war (vgl. grundlegend BAG, Urt. v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04). Auf diese Vorgaben hatte sich die Praxis bereits eingestellt.

Durch das Inkrafttreten der mindestlohnrechtlichen Regelungen zum 1.1.2015 kommt indes ein zusätzlicher Gesichtspunkt in die Bewertung der Wirksamkeit solcher Klauseln. Insoweit wird nicht nur ein Mindestlohn flächendeckend gesetzlich normiert, sondern auch der Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien vollständig entzogen. Mit anderen Worten: Der Mindestlohn gilt absolut und ist nach § 3 MiLoG auch unverzichtbar. Diese gesetzlichen Vorgaben setzt das BAG nun im Hinblick auf die Anforderungen an vertragliche Ausschlussklauseln um. Danach sind Verfallklauseln dann unwirksam, wenn sie auch Ansprüche auf den Mindestlohn umfassen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der auf den Mindestlohn entsprechenden (Teil-)Vergütung, sondern absolut. Umfassende Verfallklauseln verstoßen jedenfalls gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, da ihr Regelungsgehalt nicht klar und verständlich ist. In Ermangelung einer ausdrücklichen Herausnahme unverzichtbarer Ansprüche aus dem Klauselinhalt kann man nicht hinreichend transparent erkennen, welche Rechtsfolgen die gegenständliche Ausschlussklausel nach sich zieht.

Die Entscheidung kann jedoch nicht überraschen. Sie fußt direkt auf der gesetzgeberischen Wertung des MiLoG und der weiteren Mindestlohnregelungen, die den Anspruch auf Mindestlohn für unverzichtbar erklären. Ein ebensolcher Verzicht läge aber in einer Verfallklausel, der eine entsprechende Individualvereinbarung zugrunde liegen würde.

Praxistipp

Verfallklauseln müssen Ansprüche auf Mindestlohn ausdrücklich ausnehmen. Hierzu gibt es bereits seit einiger Zeit eine entsprechende Diskussion in der Literatur, die auch zu zahlreichen Formulierungsvorschlägen geführt hat. Die gestalterische Schwierigkeit dürfte jedoch weniger im Abschluss neuer Arbeitsverträge, als in der Frage der Bewältigung der insoweit unwirksamen Bestandsverträge liegen.

Der einzelne Arbeitgeber und dessen Rechtsberater müssen sorgfältig abwägen, ob die Neufassung bestehender Klauseln oder Verträge zielführend ist oder nicht. Die praktische Frage der Durchsetzbarkeit von Vertragsänderungswünschen dürfte dabei entscheidend sein.

Soweit Unternehmen versuchen sollten, aus den hier gegenständlichen Urteilsgründen eine Art Bestandsschutz für Klauseln abzuleiten, die vor 2010 (PflegeArbbV) oder 2015 (MiLoG) vereinbart wurden, dürfte dies nicht erfolgreich sein. Zwar urteilt das BAG vorliegend ausdrücklich für eine Verwendung der Ausschlußklausel nach 2010, aber ein AGB-rechtlicher Bestandsschutz ist den §§ 305 ff. BGB grundsätzlich fremd. Eine AGB-rechtlich zu prüfende Klausel muss sich am jeweils aktuellen Recht messen lassen.

RA und FA für Arbeitsrecht Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen, Direktor KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg

Redaktion (allg.)

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