Anspruch auf Arbeitszeitverringerung bei Überlassung

1. Der Anspruch auf Verringerung der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 8 TzBfG steht auch Arbeitnehmern zu, die bereits in Teilzeit tätig sind.

2. Bei der Prüfung, ob betriebliche Gründe vorliegen, die einem Verringerungsanspruch nach § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG entgegenstehen können, ist eine nachträgliche Überlassung des Arbeitnehmers mit Arbeitszeitvorgaben des Entleihers unbeachtlich, denn die entgegenstehenden betrieblichen Gründe sind nicht arbeitsplatz-, sondern betriebsbezogen zu bestimmen.

(Leitsätze der Bearbeiterin)
 

BAG, Urteil vom 13. November 2012 – 9 AZR 259/11

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Bild: beeboys/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger ist seit 1995 bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 18 Wochenstunden im Bereich des Betreuungsdienstes beschäftigt. Nach der Aufgabenbeschreibung im Arbeitsvertrag ist die Arbeitgeberin berechtigt, dem Arbeitnehmer sämtliche Tätigkeiten im Servicedienst "Basic Service 2" zuzuweisen. Hierzu gehört neben dem Betreuungsdienst, dem der Beschäftigte zugeordnet ist, eine Vielzahl anderer Tätigkeiten. 2008 lagerte die Beklagte u. a. den Betreuungsdienst an einen externen Dienstleistungsanbieter aus und überließ in der Folgezeit die bisher in diesen Bereichen beschäftigten Arbeitnehmer, einschließlich des Klägers, im Wege der Arbeitnehmerüberlassung an dieses Unternehmen. In einer Folgevereinbarung verpflichtete sich die Beklagte gegenüber dem Entleiher, ausschließlich Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 18 Stunden zu überlassen. Der Mitarbeiter beantragte eine Reduzierung seiner regelmäßigen Wochenarbeitszeit auf zehn Stunden. Die Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf die Arbeitszeitregelungen des Überlassungsvertrags ab.

Das ArbG gab der Klage auf Verringerung der Arbeitszeit statt. Das LAG wies sie auf die Berufung der Beklagten ab.

Entscheidung

Die hiergegen eingelegte Revision des Klägers hatte vor dem BAG Erfolg. Nach Auffassung des BAG steht dem Arbeitnehmer der geltend gemachte Anspruch auf Reduzierung seiner vertraglichen Arbeitszeit zu. Das BAG stellte zunächst fest, dass dem Anspruch auf Arbeitszeitverringerung nicht entgegensteht, dass der Angestellte bereits in Teilzeit beschäftigt war. § 8 TzBfG gilt auch für Teilzeitbeschäftigte. Die Verringerung der Arbeitszeit gem. § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG kann nur bei Vorliegen von entgegenstehenden betrieblichen Gründen abgelehnt werden. Diese muss der Arbeitgeber darlegen und ggf. auch nachweisen. Allein der Umstand, dass der Beschäftigte mit einer reduzierten Wochenarbeitszeit bei dem Entleiher nicht mehr eingesetzt werden kann, rechtfertigt nach Ansicht des BAG die Ablehnung des Teilzeitverlangens nicht. Denn bei der Prüfung, ob dem Verringerungswunsch betriebliche Gründe entgegenstehen, ist nicht allein auf den Arbeitsplatz, der dem Arbeitnehmer zugewiesen wurde, abzustellen, sondern auch auf den Betrieb als organisatorische Einheit. Die entgegenstehenden betrieblichen Gründe im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG sind damit nicht arbeitsplatz-, sondern betriebsbezogen zu bestimmen. Soweit der Angestellte infolge seiner beantragten Teilzeittätigkeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr beschäftigt werden kann, ist der Arbeitgeber daher gehalten, im Rahmen seines Direktionsrechts auch anderweitige Einsatzmöglichkeiten innerhalb des Betriebs in Betracht zu ziehen. Nur wenn keine solchen anderweitigen Einsatzmöglichkeiten bestehen, liegen entgegenstehende betriebliche Gründe vor. Im Streitfall hatte sich die Beklagte im Arbeitsvertrag ein weit reichendes Direktionsrecht vorbehalten, so dass sie hätte darlegen müssen, dass ihr ein Einsatz des Klägers mit reduzierter Arbeitszeit auch in anderen Servicebereichen als dem von der Arbeitnehmerüberlassung betroffenen unmöglich ist. Zu der Möglichkeit, den Beschäftigten – ggf. im Wege eines Ringtausches – auf einem anderen Arbeitsplatz in ihrem Luftfahrtunternehmen einzusetzen, hatte das Unternehmen allerdings nichts vorgetragen, so dass nach Auffassung des BAG dem Verringerungswunsch keine betrieblichen Gründe entgegenstanden.

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Konsequenzen

Die Entscheidung stellt klar, dass einem Verringerungswunsch weder das Organisationskonzept eines Dritten (Entleihers) noch der Umstand, dass der Mitarbeiter bereits in Teilzeit beschäftigt ist, entgegengehalten werden kann. Auch kann sich der Arbeitgeber nicht allein auf die Prüfung beschränken, ob der bisher zugewiesene Arbeitsplatz für ein Teilzeitmodell geeignet ist. Die Prüfung von Ablehnungsgründen hat vielmehr unter Berücksichtigung der Reichweite des Weisungsrechts zu erfolgen. Das Teilzeitverlangen kann nur abgelehnt werden, wenn bei allen vertraglich möglichen Einsätzen betriebliche Gründe entgegenstehen. Das heißt aber nicht, dass das Unternehmen seinen gesamten Betrieb umorganisieren muss, um Teilzeitwünschen von Mitarbeitern nachzukommen. Entscheidend ist, wie weit das Weisungsrecht in Bezug auf die Einsatzmöglichkeit des Beschäftigten reicht. Je weiter das Direktionsrecht ist, desto größer wird der Kreis der in die Prüfung von Ablehnungsgründen einzubeziehenden anderweitigen Arbeitsplätze.

Praxistipp

Arbeitgeber sollten bei Abschluss von Arbeitsverträgen mit allzu allgemeinen Tätigkeitsbeschreibungen und weit reichenden Versetzungsklauseln genau prüfen, ob ihre Betriebsorganisation tatsächlich eine erhöhte Flexibilität in Bezug auf die Einsatzmöglichkeiten des konkreten Arbeitnehmers erfordert. Denn der Zugewinn an Flexibilität geht mit der Verpflichtung einher, eine umfassende, weit reichende Prüfung vorzunehmen, ob dem Teilzeitverlangen bei allen vertraglich möglichen Einsätzen betriebliche Gründe entgegenstehen.

RAin Dr. Feyzan Ünsal, E.M.L.E., SNP | Schlawien Partnerschaft, Berlin

Redaktion (allg.)

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