Altersgrenze in Betriebsvereinbarung

Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Kalendermonats endet, in dem der Arbeitnehmer die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht, ist wirksam. Hierin liegt keine unzulässige Altersdiskriminierung.

(Leitsatz des Bearbeiters)
 

BAG, Urteil vom 5. März 2013 – 1 AZR 417/12

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der 1942 geborene Arbeitnehmer war seit 1980 bei der VW AG beschäftigt. Nach einer von beiden Parteien unterzeichneten "Einstellungsmitteilung" war das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen. Eine bei VW bestehende Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) 6/76 aus dem Jahr 1976, erneuert durch eine GBV 3/01 im Jahr 2001, sah die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Monats vor, in dem das 65. Lebensjahr erreicht wird, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Dieses vollendete der Mitarbeiter im August 2007, schied zum 31.8.2007 aus und erhält seitdem die gesetzliche Altersrente und die Betriebsrente von VW.

Mit seiner Klage wandte er sich gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Vollendung des 65. Lebensjahres sehe weder die Einstellungsvereinbarung noch der in Bezug genommene Tarifvertrag vor. Die Regelung verstoße deshalb gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Darüber hinaus verstoße die Altersgrenzenregelung gegen das AGG. Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Entscheidung

Das BAG bestätigte, dass das Arbeitsverhältnis am 31.8.2007 endete. Die GBV, die eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters vorsieht, ist wirksam. Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber können in einer freiwilligen GBV (§ 88 BetrVG) eine Altersgrenze für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen regeln (BAG, Beschl. v. 7.11.1989 – GS 3/85, NZA 1990, S. 816). Dabei haben sie jedoch die Grundsätze von Recht und Billigkeit (§ 75 Abs. 1 BetrVG) zu beachten. Diese sind aber gewahrt, wenn die Altersgrenze – wie vorliegend – an den Zeitpunkt anknüpft, zu dem der Arbeitnehmer die Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen kann.

Die GBV 3/01 und ihre Vorgängerregelung 6/76 sind nicht wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam, weil der Manteltarifvertrag bis zum Jahr 2009 keine Altersgrenze enthielt, sondern lediglich Regelungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung. Deshalb konnte der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG der betriebsverfassungsrechtlichen Altersgrenzenregelung zum Zeitpunkt des Renteneintritts des Klägers nicht entgegenstehen. Die Regelung verstößt auch nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Mit der Altersgrenze ist zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters verbunden (§§ 1, 7 Abs. 1 AGG). Diese ist aber durch § 10 Satz 1, 2 und 3 Nr. 5 AGG erlaubt. Weder diese gesetzliche Bestimmung noch die ausgestaltende Betriebsvereinbarung sind unionsrechtlich zu beanstanden. Der deutsche Gesetzgeber verfolgt mit ihr in zulässiger Weise rechtmäßige Ziele (BAG, Urt. v. 8.12.2010 – 7 AZR 438/09, NZA 2011, S. 586; EuGH, Urt. v. 12.10.2010 – C-45/09, Rosenbladt, AuA 9/11, S. 548).

Im Streitfall ergaben sich keine Besonderheiten aus der 1980 erfolgten Vereinbarung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Hierbei handelt es sich nicht um eine die Altersgrenzenregelung der GBV 1976 verdrängende einzelvertragliche Abmachung. Die Auslegung der Einstellungsvereinbarung ergibt, dass Gegenstand des Individualarbeitsvertrags auch die GBV 6/76 geworden ist, die bereits in § 4 Abs. 1 die Altersgrenze enthielt und dem Kläger ausgehändigt wurde.

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Konsequenzen

Altersgrenzen, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an das Erreichen des Regelalters für den Bezug einer gesetzlichen Rente anknüpfen, sind wirksam und AGG-rechtlich grundsätzlich unbedenklich, und zwar

› in Tarifverträgen (BAG, Urt. v. 21.9.2011 – 7 AZR 134/10, NZA 2012, S. 271; v. 8.12.2010, a. a. O.),

› in freiwilligen Betriebsvereinbarungen, die sich an § 75 Abs. 1 BetrVG messen (BAG, Urt. v. 5.3.2013 – 1 AZR 417/12), und

› in Arbeitsverträgen (§ 10 Nr. 5 AGG, LAG Hamm, Urt. v. 17.1.2013 – 8 Sa 1945/10).

 

Praxistipp

Ohne Altersgrenzenregelung endet das Arbeitsverhältnis nicht automatisch mit Erreichen des Rentenalters. Dann bedarf es einer Beendigung durch Aufhebungsvertrag (gegen Abfindung) oder einer – schwer durchsetzbaren – Kündigung wegen Leistungsminderung. Ist bzw. wird die Altersgrenzenregelung in einer kollektiven Regelung getroffen, ist es wichtig, dass der unbefristete Arbeitsvertrag insoweit eine Bezugnahme- und Öffnungsklausel enthält. Denn eine (spätere) kollektivrechtliche Norm, die abweichend vom Individualarbeitsvertrag eine zwangsweise Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführt, stellt für den Mitarbeiter eine ungünstigere Kollektivregelung dar, weil er nicht (mehr) selbst entscheiden kann, ob er in den Ruhestand tritt oder weiterarbeitet. Das Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag hat das BAG dahingehend geklärt, dass bei einer vertraglichen Abrede über das Ende des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen einer bestimmten Altersgrenze durch eine spätere Betriebsvereinbarung keine niedrigere Altersgrenze festgelegt werden kann (BAG v. 7.11.1989, a. a. O.), wenn keine Öffnungsklausel vereinbart ist.

Muster – Öffnungsklausel für Tarifverträge und BV

Die Parteien sind sich einig, dass spätere tarifvertragliche Regelungen (an die der Arbeitgeber normativ gebunden ist) und Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweils gültigen Fassung den Regelungen in diesem Vertrag oder anderen einzelvertraglichen Absprachen auch dann vorgehen, wenn die vertragliche Regelung günstiger ist.

RA Volker Stück, Leiter Personal und Compliance Beauftragter Hochspannungstechnik, ABB AG, Hanau

Redaktion (allg.)

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