AGB-Kontrolle bei Widerruf übertariflicher Leistungen

Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts ist zulässig, soweit der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25% liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird. Sind darüber hinaus Zahlungen des Arbeitgebers widerruflich, die nicht eine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, sondern Ersatz für Aufwendungen, die an sich der Arbeitnehmer selbst tragen muss, erhöht sich der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung auf bis zu 30% des Gesamtverdienstes.

(Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 11. Oktober 2006 - 5 AZR 721/05 §§ 307, 308 Nr. 4 BGB; Art. 229 § 5 EGBGB

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Problempunkt

In § 2 des Arbeitsvertrags mit dem Mitarbeiter vom 26.10.1999 ist u.a. vereinbart: "Entsprechend seiner Tätigkeit wird der Arbeitnehmer in die Lohngruppe 08/Rheinland-Pfalz eingestuft. Als Arbeitsentgelt erhält er einen festen Monatslohn von 3.539,20 DM einschließlich außertariflicher Zulage von 379,20 DM. ... Darüber hinaus erhält der Arbeitnehmer einen Fahrtkostenersatz von 44,23 DM arbeitstägig. ... Die Firma behält sich vor, alle übertariflichen Bestandteile in seinem Lohn - gleich, welcher Art - bei einem Aufrücken in eine höhere Altersstufe in der Lohngruppe oder in eine höhere Tarifgruppe teilweise oder ganz anzurechnen. Abgesehen davon hat die Firma das Recht, diese übertariflichen Lohnbestandteile jederzeit unbeschränkt zu widerrufen und mit etwaigen Tariferhöhungen zu verrechnen. Auch jede andere Leistung, die über die in den Tarifverträgen festgelegten Leistungen hinausgeht, ist jederzeit unbeschränkt widerruflich und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft." Der Mitarbeiter erhielt bis einschließlich April 2003 einen Tariflohn in Höhe von 1.751,69 Euro brutto, die vertraglich vereinbarte außertarifliche Zulage in Höhe von 227,72 Euro brutto, einen Prämienlohn auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung, der im Durchschnitt der ersten vier Monate des Jahres 2003 207,00 Euro brutto betrug, sowie den vertraglich zugesagten Fahrtkostenersatz in Höhe von 22,61 Euro je Arbeitstag. Die "außertarifliche" (besser übertarifliche) Zulage sowie den Fahrtkostenersatz widerrief der Arbeitgeber am 11.4.2003 aus wirtschaftlichen Gründen. Mit der am 3.11.2003 beim Arbeitsgericht eingereichten und mit Schriftsatz vom 9.1.2004 erweiterten Klage hat der Mitarbeiter für die vom 1.5. bis zum 31.12.2003 geleisteten 128 Arbeitstage Fahrtkostenerstattung in Höhe von jeweils 22,61 Euro verlangt. Das Arbeitsgericht hat den Widerruf der zugesagten Fahrtkostenerstattung dem Grunde nach für wirksam erachtet, den Arbeitgeber jedoch für verpflichtet gehalten, eine Auslauffrist von zwei Monaten einzuhalten und deshalb den Widerruf erst ab dem 1.7.2003 wirksam werden zu lassen. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Mitarbeiters zurückgewiesen. Auch seine Revision blieb erfolglos. Wie schon in dem Urteil vom 12.1.2005 (5 AZR 364/04, AuA 2005, S. 179) ging es auch diesmal um einen Altfall, in dem sich folgende Fragen stellten: > Unter welchen Voraussetzungen ist ein Widerrufsvorbehalt hinsichtlich übertariflicher Leistungen wirksam? > Wie sind entsprechende Klauseln in vor dem 1.1.2002 abgeschlossenen Formularverträgen zu beurteilen?

Entscheidung

Das Urteil vom 11.10.2006 gibt Antworten auf diese Fragen, wobei der Senat deutlicher als bisher zwischen übertariflichen Leistungen des Arbeitgebers, die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, also unmittelbar Arbeitslohn darstellen, und solchen Leistungen unterscheidet, die dem Ersatz von Aufwendungen des Mitarbeiters dienen, die dieser an sich selber tragen muss. Folgende Grundsätze gelten danach: Die Vereinbarung des Widerrufsrechts ist gemäß § 308 Nr. 4 BGB zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist. Es muss sich aus der Regelung selbst ergeben, dass er nicht ohne Grund erfolgen darf. Bei den Voraussetzungen der Änderung, also den Widerrufsgründen, ist zumindest die Richtung anzugeben, aus der der Widerruf möglich sein soll (wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers). Der Höhe nach ist die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig, soweit der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25% liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird. Das gilt vor allem bei übertariflichen Zulagen, die im Zweifelsfall immer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Demnach ist z.B. eine Zulage, die 24,9% des Gesamtverdienstes ausmacht, widerruflich. Können darüber hinaus freiwillige Leistungen des Arbeitgebers widerrufen werden, die keine Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, z.B. Fahrtkostenerstattungen oder –zuschüsse, erhöht sich der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung auf bis zu 30% des Gesamtverdienstes. Der Arbeitsvertrag, den die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits abgeschlossen haben, nennt keine Widerrufsgründe. Vielmehr soll der Arbeitgeber das Recht haben, die genannten Leistungen "jederzeit unbeschränkt" zu widerrufen. Dieser Änderungsvorbehalt ist nicht zumutbar. Die Vereinbarung des Widerrufsrechts ist deshalb gemäß § 308 Nr. 4 BGB seit dem 1.1.2003 unwirksam. Die Klausel fällt indessen nicht nach § 306 Abs. 2 BGB ersatzlos weg. Vielmehr ist im Rahmen der Auslegung zu fragen, was die Parteien vereinbart hätten, wenn ihnen die gesetzlich angeordnete Unwirksamkeit der Widerrufsklausel bekannt gewesen wäre.

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Konsequenzen

Für die Vertragsgestaltung ergibt sich dies:

Übertarifliche Zulage

Es sind die Widerrufsgründe möglichst konkret im Vertrag zu benennen. Beträgt die Zulage weniger als 25% des Gesamtentgelts, ist es nicht notwendig, die Kürzungsrate ausdrücklich anzugeben. Bei höheren Zulagen empfiehlt sich dies jedoch.

Fahrgelderstattung bzw. -zuschuss

Ob auch insoweit Widerrufsgründe zu benennen sind, ist offen; die Wahrscheinlichkeit spricht aber dafür. Über eine spezielle Kürzungsrate ist noch nicht entschieden. Die Annahme, dass das BAG auch hier die 30%-Grenze annehmen würde, liegt nahe. Also könnte sie in den Vertrag aufgenommen werden.

Übertarifliche Zulage und Fahrgelderstattung bzw. -zuschuss

Soll beides ganz oder teilweise widerrufen werden, gilt die 30%-Grenze, wobei die spezielle von weniger als 25% für den Widerruf der übertariflichen Zulage zu beachten ist. Die 30% könnten sich also zusammensetzen als 24,9% übertarifliche Zulage und 5,1% Fahrgeld.

Praxistipp

Es sind die Widerrufsgründe möglichst konkret im Vertrag zu benennen. Beträgt die Zulage weniger als 25% des Gesamtentgelts, ist es nicht notwendig, die Kürzungsrate ausdrücklich anzugeben. Bei höheren Zulagen empfiehlt sich dies jedoch.

Dr. Wolf Hunold, Neuss

Redaktion (allg.)

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