Geleitwort: Robuste Industrie

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 Carl Martin Welcker - Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA), Frankfurt am Main
Carl Martin Welcker - Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA), Frankfurt am Main

Die Maschinenbauindustrie in Deutschland erlebt – wie alle anderen Industriezweige auch – unruhige Zeiten. Politische Unsicherheit, wirtschaftliche Krisen, Investitionszurückhaltung: Das alles prägt auch die Stimmung im mittelständisch geprägten Maschinen- und Anlagenbau. Mit einem Umsatz von rund 220 Milliarden Euro im vergangenen Jahr und gut 1 Million Beschäftigten bildet unsere Branche unverändert das Rückgrat der Industrie in Deutschland. Aber wir spüren die seit mehreren Jahren anhaltende Investitionszurückhaltung. Unsere Industrie hat sich als robust erwiesen, mehr war angesichts der vielen politischen Unsicherheiten in der Welt nicht zu erwarten.
Echte Wachstumsimpulse sind jedoch nicht in Sicht. Auch der Weltumsatz mit Maschinen stagniert. Für diesen Mangel an Dynamik gibt es mehrere Gründe. Große Fragezeichen gibt es über den neuen wirtschaftspolitischen Kurs der USA, des größten Einzelmarkts für den Maschinenbau aus Deutschland. China, unser zweitgrößter Einzelmarkt, steckt mitten in der Umstrukturierung. Das Wachstum dort verlangsamt sich weiter und dazu verlagern sich die Wachstumskräfte von der Industrie zum Dienstleistungssektor. Auch andere wichtige Absatzländer wie Brasilien sind noch nicht wieder „in der Spur“. Immerhin: In vielen Ländern Europas dürfte sich die leichte Erholung fortsetzen. Doch unter diesen Umständen kann kein nennenswertes Wachstum erfolgen – auch nicht bei den Beschäftigtenzahlen. Allerdings – und das ist nach wie vor bemerkenswert! – findet auch kein nennenswerter Abbau statt, zumindest nicht in Summe. Laut jüngster Zahlen beschäftigen die Maschinen- und Anlagenbauer rund 1,02 Millionen Menschen in ihren Stammbelegschaften. Damit sind und bleiben wir der größte industrielle Arbeitgeber in Deutschland.
Große Sorgen machen uns zunehmende protektionistische Tendenzen weltweit. Sei es neuerdings in den USA, sei es in Lateinamerika oder in Russland, aber auch in manchen Ländern Europas. Mauern und Schutzzölle sind jedoch keine Lösung! Die EU und die deutsche Bundesregierung sind deshalb gefordert, eindeutig „Flagge zu zeigen“ für das Geschäftsmodell der Industrie und damit auch für die Sicherung von Arbeitsplätzen und Wohlstand. In einer globalisierten Welt die Handelsschranken wieder aufzubauen, ist der falsche Weg, der am Ende alle zu Verlierern macht!
Aber auch in Deutschland werden die Hürden für die Unternehmen immer zahlreicher – gerade auf dem Arbeitsmarkt. Z. B. sind im Maschinen- und Anlagenbau die wenigsten Unternehmen vom gesetzlichen Mindestlohn betroffen – unsere Industrie zahlt gute Gehälter. Belastungen kommen aber über die Auftraggeberhaftung auf die Arbeitgeber zu. Wir haben im Maschinenbau oft lange Zulieferketten. Es ist völlig realitätsfremd, den ersten Auftraggeber für Verstöße eines Werkunternehmers haftbar zu machen, der in der Kette der Beauftragungen bspw. an zehnter Stelle steht. Hier entstehen für unsere Betriebe kaum abschätzbare Haftungsketten, in denen sich die Unternehmen mit zahlreichen vertraglichen Erklärungen gegenüber ihren Partnern absichern müssen. Auf betrieblicher Ebene führt das zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand. Wir fordern deshalb eine Beschränkung der Auftraggeberhaftung durch eine entsprechende Änderung des MiLoG. Ähnliches gilt für das Entgelttransparenzgesetz und zum geplanten Rückkehranspruch auf eine Vollzeitstelle. Beides kommt Bürokratiemonstern gleich und führt gerade für kleine und mittlere Unternehmen zu großen organisatorischen Herausforderungen. Warum kann man nicht den Grundsatz der Freiwilligkeit anerkennen und auf individuelle und unkomplizierte Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer setzen?
Insgesamt gilt für uns: Industrie 4.0 führt Schritt für Schritt am Ende unweigerlich auch zu einer Arbeitswelt 4.0. Umgekehrt kann der technologische Fortschritt in den Unternehmen nur dann wirklich gelingen, wenn die rechtlichen und beschäftigungspolitischen Rahmenbedingungen bereits heute an die Erfordernisse der Zukunft angepasst werden. Es darf daher nicht zu einer weiteren kontinuierlichen Entkopplung von technologischem Fortschritt auf der einen Seite und der Entwicklung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen auf der anderen Seite kommen. Neben einer bedarfsgerechten Bildungs- und Qualifizierungspolitik braucht die Industrie auch eine moderne Arbeitsmarktpolitik mit einem entsprechend modernen Arbeitsrecht. Die Arbeitsmarktpolitik muss hierbei noch viel stärker als ein entscheidender Standortfaktor gesehen werden.

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Carl-Martin Welcker

Carl-Martin Welcker

· Artikel im Heft ·

Geleitwort: Robuste Industrie
Seite 324
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